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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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sogar wegziehn. Ich hab gesagt, es war dumm, die Kiste im Keller aufzubewahren. Onnar hat mich bloß angesehn, so wie er es manchmal macht. Dann hat er Mama umarmt und uns auf die Schultern geklopft und ist mit den Polizisten mit.
    Danach haben viele aufgehört zu streiken und sind zur Nachtschicht ins Bergwerk. Wir wissen nicht, was jetzt passiert.
    Mama schläft. Sie hat die halbe Nacht geweint. Joern, wir wissen nicht, wo du bist, aber bitte schreib ihr einen Brief. Du kannst auch einen Brief für Onnar dazutun. Flop kann uns die bringen.
    Wir vermissen dich.
    Dario .
    Ich faltete den Brief wieder zusammen und schob ihn Joern zu. Er nahm einen Stift vom Fensterbrett und schrieb auf den Rand des Blattes: Ich habe immer gedacht, die vier D können mich nicht leiden.
    Jetzt weißt du, dass es nicht wahr ist , schrieb ich zurück. Sie vermissen dich.
    Joern nickte und kraulte Flop, der sich neben ihm auf der Küchenbank zusammengerollt hatte und fest eingeschlafen war. Auf der Fensterbank lag die graue Katze, beobachtete uns mit einem Auge und wusste mal wieder alles.
    Du musst die Sache mit dem Kjerk hier alleine zu Ende bringen , schrieb Joern und darunter, ganz klein: Ich werde zurückgehen.
    Da wusste ich, dass ich mich getäuscht hatte. Er würde die Schwarze Stadt nie vergessen, nicht den Kohlenstaub und nicht die enge Wohnung und nicht seine Familie. Und plötzlich wurde mir bewusst, wie sehr ich wollte, dass er sie alle vergaß. Ich wollte, dass er nur noch für mich da war. Ich wollte meinen Freund mit keinem teilen, nicht einmal mit seiner Mutter. Und ich wusste, dass das nicht richtig war.
    »Einen Freund kann man nicht einsperren«, sagte ich laut. »Niemanden, den man wirklich mag, kann man einsperren.«
    Flint ließ seine Zeitung sinken. Er sah mich durch seine Brillengläser hinweg an und seine Augen wirkten seltsam glasig. »Wie wahr«, sagte er. »Wo steht das?«
    »Äh, hier irgendwo«, sagte ich und faltete schnell die Zeitung zusammen. »Ich glaube, wir müssen los. Wir wollten Frentje bei irgendwas helfen, oder?«
    Aber Joern würde Frentje bei gar nichts mehr helfen. Wir würden uns wieder etwas ausdenken müssen, einen Grund,warum der Sohn von Frentjes Cousine, der so lange hatte bleiben wollen, plötzlich fort war. Joern würde zurückgehen, durch den Norderwald, durch das Loch in der Mauer, über die Finsterbachbrücke, über die Todesschlucht. Zurück in die Schwarze Stadt, wo er hingehörte.
    Ich musste die Sache mit dem Kjerk alleine zu Ende bringen. Er hatte recht.
    Erst als ich ihm auf dem Hof zum Abschied stumm die Hand schüttelte, begriff ich, was mit Flints Augen nicht richtig gewesen war. Vorhin, als er gesagt hatte, es wäre wahr, dass man niemanden einsperren kann, den man wirklich mag.
    In Flints Augen hatten Tränen gestanden.

SCHWARZ

Die Antwort der Linde
    L asse«, sagte Herr Marksen am nächsten Tag, »bitte sag mir, wann die Zeit kommt, in der du wieder aufpassen kannst.«
    Ich zuckte mit den Schultern und spielte mit meinem Stift.
    »Vielleicht solltest du deinen Freund Joern mal zur Schule mitbringen«, meinte Herr Marksen. »Womöglich funktioniert es dann besser, als wenn du dauernd an all die Abenteuer denken musst, die ihr nach der Schule erlebt.«
    Da sah ich ihn an. »Mein Freund ist fort«, sagte ich laut und deutlich, »und er kommt nicht wieder. Es gibt keine Abenteuer mehr. Seine Mutter ist plötzlich krank geworden, er hat einen Brief bekommen und er ist gestern nach Hause gefahren. Der Postbote hat ihn gleich mitgenommen.«
    »Ich habe den Postboten gar nicht gesehen!«, rief Tom.
    »Und sind Joerns Eltern nicht im Urlaub in Afrika?«, fragte Herr Marksen.
    »Seine Mutter war so krank, dass sie zurückgekommen sind«, erklärte ich düster. »Vielleicht stirbt sie, so wie meine Mutter.«
    Da traute sich niemand mehr weiterzufragen und ich versuchte den Rest des Vormittags zu rechnen und zu lesen, aber man kann sich ja denken, dass es nicht klappte.
    Nach der Schule zog Almut mich am Ärmel. »Wo ist er hin?«, flüsterte sie. »Was ist passiert? Versteckt er sich irgendwo?«
    »Quatsch«, wisperte ich. »Er ist wirklich zu Hause. Sie haben seinen Bruder eingesperrt und alles ist so schrecklich. Ich glaube, sie brauchen ihn dort.«
    »Er hat mir nicht mal Auf Wiedersehen gesagt«, murmelte Almut.
    »Ja, das liegt daran«, sagte ich, »dass du ihn nicht wiedersehen wirst. Er kommt nicht zurück. Er gehört in die Schwarze Stadt.«
    Da schüttelte Almut ihr

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