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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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mit aller Kraft gegen den Stein. Der Stein gab nach. Er fiel aus seiner goldenen Fassung auf den Boden und Joern hob ihn auf. Den Ring würde er behalten. Irgendwann würde er herausfinden, wer I & D waren.
    »Aber du, du wirst dich verwandeln«, sagte Joern zu dem Edelstein in seiner Hand. »Du wirst zu Geld werden. Ich will dich nicht haben, damit du die Welt schöner machst. Ab jetzt gucke ich mir die verdammte Welt so an, wie sie ist.«
    Schon morgen, dachte Joern, würde er mit Onnar in der Küche sitzen und ihn ein paar Dinge fragen. Zuerst, woher eine gewisse blaue Flaumfeder kam.

Nichts ist, wie es scheint
    I ch rannte die Treppe im Turm hinauf, ohne ein einziges Mal stehen zu bleiben. Flint saß vor seinem Computer, als ich hineinstürzte. Im Bildschirm des Computers klaffte das Loch und irgendwo in seinen Eingeweiden steckte die Kugel des Weißen Ritters.
    Flint drehte sich um und sah mich an.
    »Ich fürchte, man kann ihn nicht reparieren«, murmelte er. »Ich werde den alten aus dem Keller …«
    »Wer bin ich?«, sagte ich und blieb mitten im Raum stehen. »Wer war meine Mutter? Wer bist du?«
    Flint schüttelte sich wie ein Hund, der gerade aus dem Wasser kommt. »Wie bitte?«
    »Ich sage dir, wo der Kjerk ist«, erklärte ich, »ich habe ihn gefunden. Aber dafür will ich endlich die Wahrheit wissen.«
    »Der Kjerk?« Flint nahm seine Brille ab und putzte sie, obwohl sie nicht beschlagen war.
    »Das, was wir für den Kjerk hielten.« Ich holte tief Luft. »Es war eine dumme Idee, Johann die Linde absägen zu lassen«, sagte ich dann. »Ich habe die Ringe gezählt. Es sind über zwanzig.«
    »Ja«, sagte Flint verwirrt. »Das kann gut sein.«
    »Was?«, rief ich. »Es kann gut sein, dass ihr meine Mutter begraben habt, bevor ich überhaupt geboren wurde?«
    »Wieso?«, fragte Flint. »Die Linde war ein junger Baum, als ich sie gesetzt habe. Vermutlich war sie einfach schon zehn Jahre alt.«
    »Du hast sie als Keimling gesetzt«, sagte ich. »Es gibt ein Foto davon.«
    »Ich habe sie nicht als Keimling gesetzt«, entgegnete Flint. »Und es gibt kein Foto von der Beerdigung. Wieso sollte jemand ein Foto von einer Beerdigung machen?«
    »Es ist in einem der alten Alben«, beharrte ich.
    Flint griff in eine Schublade, zog sie auf und holte einen Stapel Fotoalben heraus. Er blätterte darin herum und ich sah über seine Schulter: Es waren alles Bilder von mir. Ich auf Westwind, ich am Lagerfeuer, ich mit der grauen Katze auf dem Sofa, ich auf Flints Schultern, ich als winziges Bündel in Flints Armen … Wie glücklich er aussah, als er mich hielt. Warum gab es eigentlich nirgends Bilder von meiner Mutter? Ich hatte noch nie ein Bild von ihr gesehen und das war doch seltsam, nicht wahr?
    »Das rote Album hier!«, sagte ich. »Das ist es. Das, wo ich noch ganz klein bin. Blätter zum Anfang!«
    Flint blätterte und danach blätterte ich selbst, doch da war kein Foto von einer Beerdigung. Kein unendlich trauriges Foto von meinem Vater in einem schwarzen Anzug mit einem Lindenkeimling in der Hand. Ich wusste nicht genau, wann ich das Album zum letzten Mal angesehen hatte. Es war lange her, Jahre wahrscheinlich.
    Hatte ich mir das Foto von der Beerdigung nur eingebildet?
    Flint lächelte von seinem Stuhl zu mir auf, hilflos.
    »Du lügst doch«, sagte ich leise. »Ihr lügt doch alle. Nichts hier ist, wie es scheint. Das angeblich verminte Gebiet hinter der Mauer war nur der Anfang der Lügen.«
    Und ich drehte mich um, um das Arbeitszimmer meines Vaters zu verlassen. In der Tür steckte noch immer der Pfeil.
    »Lasse!«, sagte Flint. »Warte!«
    »Nein«, sagte ich. »Der Kjerk liegt übrigens auf der Lichtung. Wo irgendeine Person begraben ist, die ich nicht kenne. Geh ihn selber holen.«
    Damit rannte ich die Wendeltreppe hinunter, noch schneller, als ich sie hinaufgerannt war.
    Danach saß ich lange in meinem Zimmer und sah aus dem Fenster über das Stalldach hinweg ins grüne Gewirr des Waldes. Manchmal flogen weiße Tauben an meinem Fenster vorbei und einmal sah ich in der Ferne ein Reh auftauchen. Ich wartete darauf, dass mein Vater kam, mich um Verzeihung bat und mir alles erklärte. Doch mein Vater kam nicht. Nur die graue Katze strich mir um die Beine und sprang aufs Fensterbrett.
    »Was siehst du da unten?«, flüsterte ich.
    »Mau«, sagte die Katze und gähnte.
    Ich folgte ihrem Blick. Dort unten bewegte sich etwas zwischen den Ästen. Es war eine kleine Gestalt mit einem Bogen und sie übte

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