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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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wegwischen. »Joern, Onnar wartet auf dich. Geh ihn besuchen. Jetzt. Du weißt, wo das Gefängnis ist.«
    »Kommst du nicht mit?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Es ist besser, wenn ihr alleine miteinander sprecht. Du bist der Einzige, der Onnar vielleicht verstehen kann. Selbst Holm, der heute früh bei ihm war, schien ratlos zu sein. Und ich habe lange aufgehört, ihn zu verstehen.«
    Mama hatte recht. Onnar hatte auf Joern gewartet.
    Joern sah es an seinem Lächeln, als sie ihn hereinführten. Zwischen ihnen in dem von Kunstlicht erfüllten Raum war eine Glasscheibe, aber Onnars Lächeln drang durch das Glas wie Sonnenschein, warm und golden. Joern musste an das Licht auf dem Norderhof denken und zum ersten Mal wurde ihm bewusst, wie gut Onnar doch auf den Norderhof gepasst hätte.
    Der uniformierte Mann auf dem Stuhl in der Ecke warf einen bedeutungsvollen Blick auf seine Uhr.
    »Hör zu«, sagte Onnar. »Wir haben nicht viel Zeit. Wirst du mir glauben?«
    »Ich glaube dir«, sagte Joern.
    »Ich habe den Nachtspat nicht gestohlen«, sagte Onnar. »Ich war es nicht.«
    »Natürlich nicht«, sagte Joern erstaunt. »Das weiß ich.«
    Da lächelte Onnar wieder. »Die anderen denken, ich habe es getan«, sagte er. »Selbst Mama denkt es. Und die vier D finden es sogar richtig.«
    »Wer war es?«, fragte Joern.
    Onnar formte ein Wort mit den Lippen, sodass der uniformierte Mann es nicht sehen konnte: PÖHLKE.
    »Ich bin mir natürlich nicht hundert Prozent sicher«, sagte Onnar. »Aber ich denke, er war es. Er oder seine Leute. Um mich loszuwerden. Es gibt einen Prozess. Sie werden mir beweisen, dass ich es gewesen bin.«
    »Können wir dich nicht irgendwie hier rausholen?«
    »Ihr könntet die Kaution bezahlen«, sagte Onnar und lachte trocken. »Nur, so eine hohe Summe kriegt ihr euer Leben lang nicht zusammen.«
    »Ich lasse mir was einfallen«, sagte Joern. »Ich verspreche es dir. Onnar …«
    Er wollte ihm vom Norderhof erzählen. Vom goldenen Licht. Von Lasse. Vom Rätsel um den Weißen Ritter.
    »Ja?«, fragte Onnar.
    »Ach, nichts«, sagte Joern. Es war zu kompliziert. Er konnte Onnar nichts erklären, was er selbst nicht verstand.
    »Geh zur Schule«, sagte Onnar. »Gleich morgen. Wennsie mich verurteilen, werde ich eine Weile hier sein, und wenn ich wieder rauskomme, will ich sehen, was du in der Zwischenzeit alles gelernt hast. Du wirst mal was Besseres.«
    Joern nickte. Dabei wollte er den Kopf schütteln. Etwas Besseres als Onnar konnte man nicht werden. Niemand war mutiger und tapferer. Er senkte seinen Blick. Unten im Glas zwischen ihnen entdeckte er ein Loch, vielleicht, damit man etwas hindurchschieben konnte. Joern tastete nach Onnars Hand. Onnar drückte Joerns Hand so fest, dass es beinahe wehtat.
    »Die Zeit ist um«, sagte der uniformierte Mann.
    Und so trat Joern wenig später alleine hinaus ins Tageslicht. Flop hatte neben den Fahrradständern auf ihn gewartet, mit zuckenden Ohren und eingezogenem Schwanz. Joern schloss sein Rad auf und dachte, dass sie auf dem Norderhof sicher keine Räder abschlossen. Er befestigte das Schloss an der Sattelstange und wollte einen Fussel von seinem Ärmel pusten. Doch dann hielt er inne und betrachtete den Fussel genauer. Er war blau. Nachtblau. Eine winzige blaue Flaumfeder.
    Der Rest des Tages war schwarz wie die Stadt. Es war ein Montag, Joern ging in die Schule und erfand lahme Lügen darüber, wie er krank gewesen war und deshalb gefehlt hatte. Er merkte, dass niemand ihm glaubte, aber es war ihm egal. Nachmittags half er Mama stumm, Wäsche zu bügeln und zu falten. Er wischte Staub, wo kein Staub war, und ordnetedie Tassen in den Schränken, obwohl sie bereits ordentlich nebeneinanderstanden. Auf dem Grunde seiner Gedanken lag wie auf dem Grunde eines Flusses voller Stromschnellen ein goldener Ring. Ein Ring, den man verkaufen konnte, wenn man Geld brauchte. Geld für eine Kaution.
    Schließlich trat Joern an das Fenster in seiner winzigen Schlafkammer und sah durch den Nachtspat hinaus. Aber diesmal war es keine Erleichterung, hindurchzublicken. Die Welt erschien ihm zu bunt, zu schnörkelig – ein Bild, dem man seine Fröhlichkeit nicht abnahm.
    »Was nützt es«, flüsterte er, »durch den Nachtspat zu sehen? Es ändert nichts an der Wirklichkeit. Das muss man schon selber tun.«
    Er lauschte seinen eigenen Worten lange nach. Es war, als hätte er Onnar sprechen hören.
    Schließlich nahm Joern den Ring zwischen Daumen und Zeigefinger und drückte

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