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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Weilchen bleibe ich hier. Aber sobald ich mehr herausgefunden habe, komme ich nach. Warte nur, Lasse. Wenn ihr ein Abenteuer erlebt in der Schwarzen Stadt, dann werdet ihr das nicht ohne mich tun. Ich finde euch schon.«
    Da seufzte ich, weil sie vermutlich recht hatte. Ehe ich jedoch ging, setzten wir uns mit dem Rücken an die sonnenwarme Stallwand und ich berichtete, wie ich den Kjerk gefunden hatte. Dabei sog ich alle Wärme der Sonne in mich auf, denn bald würde ich dort sein, wo es kalt war und hässlich.
    »Wie willst du ihn finden?«, fragte Almut am Ende. »Unseren Freund?«
    » Meinen Freund«, verbesserte ich. »Ich finde ihn schon.«

Der kälteste Ort, die winzigste Wohnung
    I ch schrieb Flint keinen Abschiedsbrief. Almut würde ihm das Nötigste erklären. Ich nahm auch nichts mit.
    Ich wanderte von der Rückwand des Stalles aus los, in den Wald hinein, und es tat mir weh, dass ich keinem außer Almut Auf Wiedersehen gesagt hatte: Frentje nicht und Olaf nicht und Flint nicht. Nicht einmal meinem treuen Westwind. Aber es ging nicht anders.
    Zu Fuß war es verdammt weit bis zur Mauer. Ich kroch durch das Loch und sah tief unten den Finsterbach dahinrauschen, viel reißender und tödlicher als mein Fluss mit den Stromschnellen. Seine Felsen blitzten mich an wie Zähne und das Maul der Todesschlucht grinste mir entgegen. Die Brücke, die wir aus den Fichtenstämmen gebaut hatten, erschien mir mit einem Mal unglaublich lang. Wie hatte Joern nur den Mut aufgebracht, darüberzugehen? Zögernd stellte ich einen Fuß darauf. Was, wenn die Stämme unter mir wegrollten? Und wenn ich ausrutschte und stürzte? Die schwarze Tiefe zog meinen Blick an, wollte mich aufsaugen und nicht wieder hergeben. Und ich erinnerte mich, dass ich schon immer Angst gehabt hatte vor der Höhe. Deshalbwar ich damals nicht mit Almut zusammen auf die Feuerleiter am Turm geklettert, um Flint zu erschrecken. Aber jetzt gab es keinen anderen Weg. Ich musste über die Brücke gehen, um zu meinem Freund zu gelangen.
    So zwang ich mich, geradeaus zu sehen, und setzte langsam einen Fuß vor den anderen.
    »Nur nicht in die Todesschlucht hinabsehen«, sagte ich vor mich hin. »Nur nicht hinuntersehen und alles ist in Ordnung …«
    Es half. Ich kam heil drüben an, die Stämme rollten nicht beiseite und der Rachen der Todesschlucht musste hungrig bleiben. Ich hörte den Finsterbach hinter mir ärgerlich raunen und zischen. Sollte er zischen. Ich drehte mich nicht nach ihm um. Er war die Grenze zwischen zwei Welten: einer schönen und einer hässlichen, einer guten und einer bösen. Aber eine gute Welt voller Lügen ist keine gute Welt.
    Ich ging den Pfad entlang durch die kränklichen Fichten, auf die Schwarze Stadt zu.
    Mein Freund wartete auf mich.
    Erst als ich die Schwarze Stadt betrat, wurde mir bewusst, dass ich nicht einmal Joerns Nachnamen kannte. Ich wusste nichts, keine Straße, keine Hausnummer, gar nichts. Und es gab hier so unendlich viele Häuser, so unendlich viele Straßen!
    Ich kannte das alles nur aus Filmen; nicht einmal aus den Nachrichten, denn wir hatten kein Fernsehen. Viel später verstand ich, weshalb. Das Schlimmste und Hässlichste aufder ganzen Welt sind die Nachrichten im Fernsehen, denn ihre gräulichen Bilder sind wirklich, kein Film. Flint hatte nicht gewollt, dass ich diese Bilder sah.
    Nun aber stand ich verloren zwischen den hohen Blöcken. Der Himmel war so weit weg, dass es schien, als hätte jemand ihn gestohlen. Wie laut es war! Wie kalt! Wie eilig die Menschen es hatten! Da war kein einziges Pferd in den Straßen zu sehen, kein einziger Baum. Keine Vögel, keine Bäche, keine Seen. Nichts in der Schwarzen Stadt atmete – alles, was es gab, war aus Stein und aus Metall. Ich wusste nicht einmal, ob die Menschen atmeten. Vielleicht taten sie nur so.
    Innerhalb von Minuten hatte ich mich verlaufen und ich wäre sicher ewig durch die Schwarze Stadt geirrt, wenn nicht jemand mich gefunden hätte. Er fand mich, als die Sonne hinter der ewigen Glocke aus Kohlenstaub zu sinken begann, und das war der glücklichste Zufall, den ich je erlebt habe.
    Ich war mitten auf einem Gehsteig stehen geblieben. Mir war schwindelig von all der Hektik ringsum. Da sprang auf einmal etwas an mir hoch. Ich erschrak fürchterlich. Das Etwas bellte laut. Es war schwarz und hatte große flatternde Ohren. Und da kniete ich mich hin und streichelte die Ohren und konnte mich gar nicht genug freuen.
    »Flop!«, rief ich. »Wo kommst du

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