Jenseits der Finsterbach-Brücke
hinter der Stallwand schießen. Joern!,dachte ich für einen Moment. Er ist zurückgekommen! Aber natürlich war es nicht Joern. Es war Almut. Sie hatte meinen Bogen genommen und ich überlegte, ob ich wütend werden sollte.
Da fiel mir wieder ein, was Almut über den Bogen gesagt hatte. »Statt hier ihre alten Sachen rumliegen zu lassen, sollte deine Mutter mal lieber selbst wieder auftauchen!«
Almut wusste etwas, das ich nicht wusste.
»Danke«, sagte ich zu der allwissenden Katze. »Danke für den Tipp!«
Unten im Hof lag der Kjerk, der kein Kjerk war. Johann, Flint, Olaf und Herr Marksen knieten daneben und untersuchten ihn. Johann war der Einzige, der aufsah, als ich über den Hof ging. Er winkte mir mit einer Hand. In der anderen hielt er das Messer mit dem blauen Griff, ich sah es genau. Er war dabei, die falsche Haut des Kjerks aufzuschlitzen. Die Sonne blitzte auf der Messerklinge. Ich winkte Johann nicht zurück.
Als ich den Stall umrundete, spannte Almut gerade den Bogen meiner Mutter und zielte auf die Scheibe an der Wand.
»Ich weiß alles«, sagte ich und trat neben sie. »Meine Mutter ist gestorben, bevor ich geboren wurde. Sie ist gar nicht meine Mutter. Und du wusstest es die ganze Zeit!«
Almut ließ den Pfeil los und er landete genau in der Mitte der Zielscheibe. Es war wie eine Antwort. Ich hatte ins Schwarze getroffen.
»Ich muss wissen, wer ich bin!«, sagte ich eindringlich.
Almut drehte sich zu mir um. »Ich sollte es eigentlich nie erfahren«, sagte sie. »Aber Frentje hat sich mal verplappert. Also hat sie mir den Rest auch erzählt. Vielleicht ist es besser, wenn ich es für mich behalte.«
Da packte ich sie an den Schultern und drückte sie mit aller Kraft gegen die Stallwand.
»Sag es mir!«, zischte ich. »Jetzt sofort. Und wehe, du lügst!«
Almut wand sich. »Lass mich los!«, keuchte sie. »Ich schreie!«
»Das wirst du nicht tun«, sagte ich und grub meine Finger tiefer in ihre Schultern. »Denn du möchtest sicher alles darüber hören, wie ich den Kjerk gefunden habe.«
Bei Almut wirkte diese Methode.
»Deine Mutter«, sagte sie leise, »ist nicht tot. Nur wer du bist, das musst du schon selbst herausfinden. Dabei kann dir keiner helfen.«
Ich ließ sie los. »Wie bitte?«
Sie massierte ihre Schultern. »Wetten, das werden lauter blaue Flecke wie bei Joern«, sagte sie. »Du bist adoptiert, Lasse. Flint hat dich vor zwölf Jahren adoptiert, als winzig kleines Baby. Aber er hat dich großgezogen und alles. Ich meine, es ist doch egal, ob du nun mit ihm verwandt bist oder nicht!«
»Woher … woher hatte er mich?«, fragte ich. Die Luft schien dünn geworden zu sein und die Stallwand schwankte.
»Aus einem Krankenhaus«, sagte Almut. »Frentje hatgesagt, du wärst sehr klein und schwach gewesen und du brauchtest jemanden, der sich die ganze Zeit um dich kümmert. Das hat er getan. Das Krankenhaus war in der Schwarzen Stadt. Als Frentje es mir erzählt hat, wusste ich noch nicht, was die Schwarze Stadt ist, und ich habe mich jedes Mal gegruselt, wenn ich an diesen Namen dachte.«
»Und wer«, fragte ich langsam, »liegt auf der Lichtung begraben?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Almut. »Hey, bleib ruhig, Lasse. Du brauchst gar nicht wieder deine spitzen Finger in meine Schultern zu bohren! Ich hab wirklich keine Ahnung!«
Ich holte den Ring aus der Tasche und gab ihn ihr und sie drehte ihn behutsam in ihren Fingern.
»Wir haben ihn am Grund des Baches gefunden«, sagte ich. »I & D. Was bedeutet I & D?«
Almut sah eine Weile durch den Nachtspat und wunderte sich. »Keine Ahnung«, sagte sie schließlich. »Ich würde sagen, es ist ein Ehering und das sind die Anfangsbuchstaben der Leute, die geheiratet haben.«
»Auf dem ganzen Norderhof gibt es niemanden, dessen Name mit I anfängt oder mit D«, sagte ich. »Der Ring muss aus der Schwarzen Stadt kommen.« Und plötzlich war mir klar, was ich tun würde. Ich schluckte. »Almut«, sagte ich, »du kannst den Bogen behalten. Für eine Weile. Ich werde in die Schwarze Stadt gehen. Ich muss herausfinden, wer ich bin. Vielleicht hat es etwas mit allem zu tun – mit dem Weißen Ritter und dem Kjerk. Ich muss mit Joern sprechen. Und ich muss ihm helfen. So wie du gesagt hast.«
»Ich komme mit«, sagte Almut entschlossen.
»Nein«, sagte ich genauso entschlossen. »Jemand muss hierbleiben und die Augen offen halten. Jemand, der mutig genug ist, nach der Wahrheit zu fragen.«
»Na gut«, antwortete Almut. »Ein
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