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Jenseits der Finsternis

Jenseits der Finsternis

Titel: Jenseits der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Nagula
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Regenfälle wieder eins werdenden Wolkenfront, deren urwüchsige Kraft nur dazu reichte, sich selbst zu verschlingen. Dann war es Nacht und Conrad fiel in Phils gespenstischem Haus in einen Traum, in dem er alles Geschehene tausende Male aufs neue, in endlos aufeinanderfolgenden Variationen erlebte.
    Am nächsten Morgen erwachte Conrad auf blankem Fels. Das Haus um ihn war verschwunden. Er ruhte auf einem harten Bett inmitten eines kreisrunden Walles, der aus den Muscheln, Schnecken und Krabben errichtet war, die Phil so zahlreich gesammelt hatte. Der Alte selbst war am Rand der Klippe wieder in seine Trance versunken.
    Conrad richtete sich auf und hatte dabei das Gefühl, als hätte er seine Beine noch nie bewegt. Dann sah er sich um.
    Auch heute war alles tot. Nur ein dünner Pelz von Moosen und Flechten bedeckte den hier und dort verstreuten Schutt. Conrad wußte nicht zu sagen, wie weit zurück er in der Vergangenheit war. Allein das Meer war aller Veränderung entkommen, hatte als einzige feste Größe in dieser Welt seine Bestimmung behauptet. Noch immer spülte es in sanftem Wellengang an den heute viel schmaleren Strand, vor dem sich die Klippen in ihrer ganzen, urzeitlichen Mächtigkeit erhoben, scheinbar noch am Anfang ihres Jahrmilliarden währenden Widerstands gegen den Ansturm des Meeres.
    Conrad wollte den Alten fragen, wie es weitergehen sollte, ob er all diese bedrückenden Bilder nur heraufbeschwor, um Conrad eine Lehre zu erteilen oder ob er ihn nie wieder in die gnädige Ohnmacht der kontinuierlichen Zeit zurückversetzen wollte, doch etwas hielt ihn davon ab, vielleicht sogar die Angst vor einer Antwort. Wohler war ihm statt dessen dabei, seiner Neugier nachzugeben, die ihn unnachgiebig ins Küstental hinabzog, um zu sehen, was jetzt dort war, wo irgendwann das künstliche Dorf stehen würde. Da er vermutete, sich in prähistorischer Vergangenheit zu befinden, überraschte, ja, erschreckte es ihn um so mehr, daß er im Tal wider Erwarten auf Spuren menschlicher Zivilisation stieß. Die Überreste, die er fand, waren jedoch erschreckend anders als die Ruinen, auf die er noch am gestrigen Tag gestoßen war. Sie wirkten heute ungleich älter, hatten sich fast schon dem Geröll der Landschaft angeglichen. Nur Conrads sicheres Wissen, daß hier das Dorf gestanden hatte oder stehen würde, ließ die Ruinen noch als solche erkennen. Sonst waren keine Spuren geblieben, nicht einmal ein Hauch von Leben. Nur vom Meer her tastete sich allmählich wieder das Leben an Land.
    Conrad rannte wie irr durch die ehemaligen und zukünftigen Straßen zwischen den Mauerresten umher und versuchte verzweifelt, eine andere Erklärung für all das zu finden als jene, die sich ihm so machtvoll aufdrängte. Wenn er das Gegebene weiterdachte, ergab sich folgendes: In einigen Jahrhunderten wären die Ruinen vollständig zerfallen, überwuchert von neuem pflanzlichen Leben, das bis zu dieser Zeit wieder aufs Land übergegriffen hätte. Bald darauf entstünden die ersten Landtiere, dem Zeitalter der Amphibien würde das Zeitalter der Reptilien folgen und nach ihrem Untergang übernähmen die Säugetiere die Oberhand. Aus ihnen würden die ersten Menschen hervorgehen, die Ahnen derer, die bald darauf die Erde zu überschwemmen begännen. Und irgendwann würden Menschen das Dorf wieder erbauen, um darin zu leben, über Jahre, Jahrhunderte hinweg, bis Krankheit, Dekadenz oder Krieg sie vernichten würden. Mit ihrem Abgang verschwände, verseucht von den Trümmern, die sie zurückließen, auch bald das letzte Leben. Dann würde der Fels wieder blank und nackt werden und die Klippen durch Konvulsionen der Erde wieder zu ihrer urzeitlichen Höhe aufgetürmt. In den Meeren dieses toten Zeitalters entstünde dann irgendwann nach Ewigkeiten wieder Leben, und der Zyklus würde aufs neue beginnen. Ein Kreis, dachte Conrad. Die Ordnung, die wir in die Fülle der Bilder in uns bringen, ist keine Linie, sondern ein Kreis. Und solange uns das nicht bewußt ist, werden wir ihn nicht durchbrechen können.
    Beim Weg zurück sah er Phil schon aus einiger Entfernung aufrecht auf den Klippen stehen und ihm entgegensehen, als er hastend den Hang erklomm. Conrad beachtete ihn nicht, nahm nicht einmal den genugtuenden Ausdruck in seinen Zügen wahr, sondern lief an ihm vorbei und suchte den Klippenrand nach dem Grat ab, über den er zum Strand hinabklettern konnte. Später wußte er nicht mehr, wie er hinabgekommen war, er erinnerte sich nur daran,

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