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Jenseits der Finsternis

Jenseits der Finsternis

Titel: Jenseits der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Nagula
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diesem Zeitpunkt begann Armand zu verstehen, daß er mit seinem eigenen Namen und seiner Kodenummer auf den Platz eines anderen, eines Toten, gerutscht war. Noch hatten sich die unsichtbaren Spinnennetze aus Kodenummern und Personaldaten nicht entschieden. Aber er ahnte bereits, daß er als Pater Armand langsam ausgesondert wurde. Der andere war bereits stärker – zumindest in den Datenspeichern.
    Damit hatte er nicht gerechnet. Gleichzeitig faszinierte ihn die Idee, die Rolle eines Toten weiterzuspielen …
    Gegen Mittag hatte er alle Briefe verbrannt. Nur einen hob er auf. Es war die amtliche Berufung in das neu gegründete UN-Archiv. Das Schreiben trug bereits seinen richtigen Namen. Aber man nannte ihn nicht mehr Pater, sondern Daten-Schutz-Rat.
    Er war ein anderer geworden, obwohl er immer noch den gleichen Namen trug …
     
    Armand von Echterdingk verließ das Penthouse kurz vor Mitternacht. Er wunderte sich, wie laut es auf den Straßen war.
    Für eine Weile achtete er nicht auf seine Umgebung. An sich war es ganz logisch, daß er in diesen letzten Minuten des ausgehenden Jahres daran zurückdachte, wie er vor vielen Jahren zum Präsidenten des UN-Archivs geworden war.
    Natürlich hätte er damals die Möglichkeit gehabt, den Sack mit Briefen zu seinem Bischof zu bringen. Wahrscheinlich hätte sich dann alles aufgeklärt. Die Fehler in den Speichern wären korrigiert worden. Aber das Lebenswerk eines anderen wäre vielleicht niemals in der jetzigen Form vollendet worden.
    So aber hatte Armand von Echterdingk von Anfang an gewußt, wer seine Gegner waren. Er selbst war vollkommen neutral geblieben. Fast zwanzig Jahre lang hatte er den Traum von Ordnung in Kirchenbüchern geträumt. Zum Schluß war ihm viel mehr gelungen …
    Er hörte ein paar knallende Silvesterböller in den Seitenstraßen. Pfeifend stiegen Raketen über den dunklen Häuserfassaden auf. Trotzdem sah er kaum Menschen.
    Gleichzeitig fiel ihm ein, daß er nie wieder jemand getroffen hatte, der ihn noch aus seiner Zeit als Pater kannte. Seine Karriere im Dienst der neuen Datenbanken hatte ihn von Anfang an von denen ferngehalten, von denen er eine Information nach der anderen sammelte.
    Der Bischof war inzwischen auch gestorben, und an das Mädchen, das damals dabeigewesen war, erinnerte ihn lange Zeit nur noch das Bild auf den Monitoren in seiner Wohnung und im Amt. Und natürlich der Name des letzten Testsystems …
    Eine Gruppe Betrunkener kreuzte seinen Weg. Sie grölten und lachten, während er ihnen auswich.
    »Datscha … Datscha …«, riefen sie ihm zu.
    Armand stolperte in eine dunkle Unterführung. Es roch nach kalten Ziegelsteinen und billigem Fusel.
    »Datscha … Datscha … heute nacht …«
    Im gleichen Augenblick sah er den Schatten. Die Frau löste sich aus dem Dunkel. Hinter den Häusern stiegen erneut farbige Silvester-Raketen auf.
    »Nun?« fragte sie. »Sind Sie noch immer nicht besorgt, Herr Präsident?«
    Er starrte in das unvergeßliche Gesicht. Sie hatte einen dünnen, hellen Schleier um den Kopf gelegt.
    »BEATE …!«
    »Ja, deine Traumfrau, Armand …«
    Er spürte, wie ein eisiger Schauer über seinen Rücken lief. Sein Magen krampfte sich zusammen, und sein Herz setzte für eine Sekunde aus, um dann wie wahnsinnig zu hämmern.
    »Wir wußten schon vor zwanzig Jahren, daß wir die Entwicklung zum Überwachungsstaat nicht mehr verhindern konnten«, sagte sie sanft. »Aber durch dich hatten wir endlich den richtigen Mann genau im Zentrum … einen Pater mit der Kodenummer eines toten Verwaltungsfachmanns …«
    »Bist du … mein Gott, ich dachte wirklich, du bist …«
    »… nur eine Projektion?«
    Er konnte nur noch nicken.
    »Das war ich nie, Armand! Ich habe dich in all den Jahren begleitet … bis zur endgültigen Programmierung!«
    Sie trat einen Schritt zur Seite. Als er sich ebenfalls umwandte, schienen ihm die Dachkanten der Häuser in helles, rötliches Licht getaucht.
    »Ich muß ein Narr gewesen sein«, keuchte er. »Die ganzen langen Jahre …«
    »Weil du mich nicht erkannt hast? Oder weil du den Menschen alles stehlen wolltest, was sie für ihre ganz privaten Werte halten?«
    »Armands gesammelte Werte«, lachte er bitter. Er sah nach oben. Das rötliche Glühen am Nachthimmel verstärkte sich. Die Kuppel über der Stadt wirkte jetzt wie ein Hohlspiegel. Er sah den Widerschein der Flammen hoch über ihrem Kopf.
    Der Reichstag brannte wie eine Fata Morgana.
    Überall in der Stadt läuteten die Glocken

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