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Jenseits der Finsternis

Jenseits der Finsternis

Titel: Jenseits der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Nagula
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überall auf der Erde Wirklichkeit werden?
    Ein neuer Anfang ohne die Fingerabdrücke der Vergangenheit, ohne Dossiers und gespeicherte Vorurteile, Lehrbücher, Gesetze und Manifeste? Mit Menschen, die nicht mehr die Kainsmale ihrer verpfuschten Zivilisation tragen … Kennziffern … Klassifizierungen … Kodes:
    Obere Oberschicht, Vergütung R 7 / Mittlere Mittelschicht, RAT Ia / Untere Unterschicht, Numerus clausus des Lebens, Anfrage abgelehnt …
    Von allen Seiten müßten sie kommen … über die breiten Boulevards … mit schwingenden Schwebegleitern, die sich wie Pusteblumen unter der Stadtkuppel tummeln … Menschen wie Kinder aus den Untergrund-Spielparks …
    Generalamnestie für die alte Welt. Ein Tag, wie geschaffen für eine Häutung der Herzen und Seelen just in den letzten Stunden des zwanzigsten Jahrhunderts.
    Welch ein Datum!
    Welch eine Chance …
     
    »Es ist jetzt 11.55 Uhr«, sagte BEATE, »fünf Minuten vor zwölf …«
    Die Stimme der Frau auf dem Bildschirm klang routiniert, aber vielleicht ein wenig zu rauchig für eine Vormittagsansage. In kommerziellen Programmen hätte ihr Typ – eine Mischung aus kühler Eleganz und mädchenhafter Frische – sensationelle Einschaltergebnisse erzielt. Jetzt aber ging ein verhaltenes Aufstöhnen durch die Büros des alten Reichstagsgebäudes.
    Die meisten Beamten hatten BEATE eingeschaltet. Natürlich erschien auf jedem Bildschirm ein anderes Gesicht. Die Bandbreite reichte von mütterlichen Signoras über Blondinen bis zu griechischen Jünglingen. Das war einer der wesentlichen Vorteile der Berliner Elektronik Auskunft – Typ Eigenbedarf. Jeder sah nur das, was er gerne sehen wollte: selektive Information – präzise gefiltert und beinahe liebevoll auf die kleinen Eigenarten des jeweiligen Benutzers abgestimmt …
     
    Im großen Balkonzimmer des Reichstags kamen die Hinweise von BEATE relativ ungefärbt an. Von diesem Raum aus hatte einmal ein Mann namens Scheidemann die deutsche Republik verkündet. Später war dann der ganze Bau abgebrannt, aufgebaut, zerschossen, restauriert und schließlich zum UN-Zentralarchiv ausgebaut worden.
    »Exzellenz … bitte beenden auch Sie jetzt Ihre Personaldatenpflege!« mahnte BEATE. »Die Eingabe-Terminals werden pünktlich um zwölf Uhr mittags geschlossen … für immer …«
    Armand von Echterdingk nickte.
    »Schon gut«, sagte er. »Ich bin soweit fertig. Wie sieht es in den anderen Büros aus?«
    Die dunkelhaarige Frau auf dem Bildschirm seufzte.
    »Einige Herren haben noch Schwierigkeiten mit ihrem Jahresabschluß. Besonders die Ausfallzeiten für sonnenarme Dienststunden sind nicht ganz einfach zu berechnen, seit die Kuppel über der Stadt nicht mehr gereinigt wird …«
    »Sollen sich nicht so anstellen!« brummte der Präsident. »Wir mußten alle Opfer bringen, um den Termin zu halten. Ein Wunder, daß wir es doch noch geschafft haben, diese Unsummen von Datenwerten endlich absolut sicher zu speichern …«
    »Zwölf Stunden vor dem Ende des Jahrhunderts«, nickte Beate.
    »… des Jahrtausends!« korrigierte Armand befriedigt.
    Der hochgewachsene, manchmal überkorrekt wirkende Mittfünfziger nahm die Schultern zurück, strich sich mit der rechten Hand über sein fast weißes Haar und betrachtete nachdenklich die elektronische Gefährtin vieler Jahre.
    »Eigentlich war es eine schöne Zeit«, sagte er schließlich. Er konnte sich auch in diesem Augenblick nicht dazu durchringen, in »seiner« BEATE nur eine Projektion seiner Individualdaten zu sehen. Sie war sein Alter ego gewesen – ein ungeheuer komplizierter Versuch, die Ansprüche der Gesellschaft mit seinen eigenen Vorstellungen vom Leben in ein selbstregelndes Beziehungsnetz zu bringen.
    Vor noch nicht allzulanger Zeit mußten Naturereignisse, Mythen und Vorstellungen von Gott eine ähnliche Funktion gehabt haben …
    »Was werden Sie bis zur Umschaltung tun?« fragte BEATE. Es kam nicht sehr oft vor, daß sie persönlich wurde. Jedenfalls nicht bei ihm. Dennoch hatte er sich manches Mal gefragt, wer eigentlich der wahre Armand von Echterdingk war … der seriöse Herr vor dem Monitor … oder das gut gepflegte Datenmaterial über ihn.
    »Ich werde in meine Dienstwohnung fahren, etwas schlafen und gegen Mitternacht die Kardinal-Schaltung beobachten.«
    »Keine Angst mehr vor den DATSCHAS? « fragte sie besorgt. Für einen kurzen Augenblick stieg ihm das Blut ins Gesicht. Doch dann schüttelte er den Kopf.
    »Jetzt nicht mehr! Diese verdammten

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