Jenseits Der Grenze
Rione stand auf. »Ich muss mich jetzt erst mal ein wenig ausruhen. Charban wird vor morgen nicht hier eintreffen. Also können Sie sich für eine Weile wieder von allen Politikern befreit fühlen.«
»Ich bin mir sicher, Ihr Quartier ist inzwischen fertig.« Er musterte sie und fragte sich, wieso sich bei ihm der beharrliche Eindruck hielt, dass mit Rione irgendetwas anders war als beim letzten Mal. »Ist alles in Ordnung?«
»Alles bestens«, sagte sie und lächelte abermals, was jetzt aber so emotionslos wirkte wie das Lächeln eines Syndik-CEOs. Ihre Augen verrieten ebenfalls keine Gefühlsregung.
Nachdem sie gegangen war, saß er noch eine Weile da und ließ sich die Unterhaltung noch einmal durch den Kopf gehen. Manche Äußerung, wie zum Beispiel die Andeutung in Tanyas Gegenwart, dass sie einen Beitrag dazu geleistet hatte, ihn mit Desjani zusammenzubringen, war untypisch gedankenlos. Dann wieder hatte Rione den Eindruck erweckt, ein noch heimlicheres Spiel zu treiben als beim letzten Mal, selbst wenn sie auf den ersten Blick ganz offen und ehrlich zu reden schien. Warum sind Sie tatsächlich zurückgekommen, Victoria? Wie sehr sind Sie meine Verbündete, und wie sehr folgen Sie der von der Regierung vorgegebenen Linie? Und inwieweit arbeiten Sie heimlich an der Vollendung Ihrer eigenen Ziele, wie auch immer die aussehen mögen?
Und so viel Sie mir auch anvertraut haben – wie viel haben Sie mir gleichzeitig verschwiegen?
Viel später an diesem Tag begegnete er Tanya in einem der Schiffskorridore wieder. »Hatten Sie Gelegenheit, sich diese speziellen Befehle vom Großen Rat anzusehen?« Die Befehle, die Rione für ihn mitgebracht hatte und die ausschließlich für ihn bestimmt waren. Zum Teufel mit der Geheimniskrämerei, ich brauche andere Perspektiven.
Desjani verzog den Mund. »Leider ja.«
»Genau. Endlos viele Anweisungen nach dem Prinzip: ›Tun Sie dies, es sei denn, Sie sollten es besser bleiben lassen, und tun Sie jenes nicht, es sei denn, Sie sollten es tun.‹«
Sie antwortete nicht sofort, sondern schaute auf einen weit entfernten Punkt. »Berücksichtigen Sie bitte, dass meine persönlichen Gefühle nicht hineinspielen, wenn ich sage, dass diese Frau Sonderbefehle für uns mitgebracht hat, und wenn ich mich dann frage, wie eigentlich ihre eigenen Befehle lauten.«
»Das habe ich mich auch schon gefragt.«
»Die haben sie nicht bloß als Kurier hergeschickt, sondern noch aus irgendwelchen anderen Gründen. Solange wir diese Gründe nicht kennen, möchte ich Sie bitten, sie wie eine potenzielle Gefahr zu behandeln.«
»Das werde ich auch«, versicherte Geary ihr. »Mir passen schon die Befehle nicht, von denen sie uns in Kenntnis gesetzt hat. Vor allem nicht ihre Anweisung, dass wir uns ins Dunai-Sternensystem begeben sollen. Ich hatte vor, einen Sprung nach Indras im Syndik-Territorium zu unternehmen und von dort durch das Hypernet der Syndiks bis nach Midway zu reisen, damit wir von da den Sprung ins Alien-Territorium unternehmen können. Der einfachste und schnellste Weg, um die Strecke zurückzulegen. Stattdessen will der Große Rat, dass die Flotte einen Abstecher nach Dunai unternimmt, damit wir unsere Kriegsgefangenen aus einem Lager der Syndiks holen.« Er war wütend und fühlte sich zugleich hilflos, weil er sich über solche Befehle nicht hinwegsetzen konnte. »Die erforderlichen Zwischenstopps und Sprünge verlängern unseren Flug nach Midway um drei Wochen.«
»Wieso Dunai?«, hakte Desjani nach. »Wieso ist dieses Gefangenenlager wichtiger als all die anderen, in denen es auch noch genügend Gefangene gibt, die auf eine Rückkehr in die Allianz warten?«
»Der Befehl sagt darüber nichts aus, und Rione behauptet, nichts zu wissen.«
»Stecken Sie sie für eine halbe Stunde in einen Verhörraum, dann …«
Er winkte ab und machte eine hilflose Geste. »Ich wünschte, ich könnte das machen. Aber es gibt keine Grundlage, um eine Zivilperson und Regierungsrepräsentantin so zu behandeln. Wir müssen nach Dunai, Tanya.«
»Und warum nicht auf dem Rückweg?«, wollte sie wissen. »Was wir an Vorräten für diesen Umweg verbrauchen, könnte uns fehlen, wenn wir uns später im Gebiet der Aliens befinden. Außerdem wäre das schon deshalb sinnvoller, damit wir nicht mit Schiffen voller befreiter Kriegsgefangener zu den Aliens reisen müssen.«
»Sie haben völlig recht. Aber es bleibt keine Zeit mehr, gegen den Befehl Einspruch einzulegen, weil das unsere Abreise um Wochen
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