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Jenseits Der Schatten

Titel: Jenseits Der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
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ein besseres Zimmer?«
    »Du wirst dir ein Zimmer teilen. Mit Rücksicht auf dein Alter hat man dir ein Einzelzimmer gegeben. Das war ein Fehler. Du bist ohnehin schon isoliert genug. Von heute Nachmittag an wirst du eine Mitbewohnerin haben. Falls du neugierig bist, der Raum wird nur geringfügig größer sein als dieser.« Vi ließ sich wieder aufs Bett fallen. »Nun, da ich die Verantwortung für dich trage, wirst du zum Unterricht gehen. Sofort. Elene wird ein wenig warten müssen.«
    Vi rührte sich nicht von der Stelle.
    »Müssen wir gewisse Lektionen wiederholen, die wir unterwegs gelernt haben?«, fragte Ariel.
    Vi stand schnell auf.
    »Und übrigens, für den Fall, dass du es als Belohnung ansiehst, meiner Obhut unterstellt worden zu sein: All die Strafen, die deine unglückliche Flurwache dir auferlegt hat, werden ausgeführt werden und dazu noch einige meiner eigenen Strafen. Folge mir.« Ariel verließ den Raum, und Vi hatte keine andere Wahl, als ihr zu folgen wie ein geprügelter Hund.
    Bei der Erbauung der Chantry hatten Schönheit und praktische Erwägungen im Vordergrund gestanden. Kosten waren offensichtlich kein Thema gewesen. Selbst hier, im Bereich der Novizen, waren die Deckengewölbe über drei Meter hoch, und in jedes Geviert eines Gewölbes war ein anderes Muster eingelassen. Die Novizen belegten das unterste Geschoss der Chantry über der Wasserlinie. Darunter gab es noch Lagerräume, Archive und dergleichen mehr. Da der Grundriss der Chantry durch die riesige Statue des Seraphen vorgegeben war, waren die einzelnen Stockwerke in Kreisen angelegt: Der Wohnbereich lag in dem von Fluren viergeteilten inneren Kreis, die Unterrichtsräume dagegen befanden sich im äußeren Kreis, wo das für die Magie nötige Sonnenlicht zur Verfügung stand.

    Obwohl weißer Marmor vorherrschte, wirkte das Stockwerk der Novizen nicht karg. Eine Burg mit so viel Stein wäre kalt und dunkel gewesen, aber hier wurden die Böden gewärmt, um nackte Füße willkommen zu heißen, und die Decke selbst leuchtete. Die Wände waren voller bunter, fröhlicher Szenen, um Mädchen zu trösten, die zum ersten Mal fern von zu Hause waren: Kaninchen, Einhörner, Katzen, Hunde, Pferde und Tiere, die Vi noch nie gesehen hatte, spielten miteinander. Sie waren fantasievoll, aber sehr genau gemalt worden.
    Vi berührte das Abbild eines rosafarbenen Welpen, der sich im Schlaf neben einem freundlichen Löwen zusammengerollt hatte. Seine Augen öffneten sich, und er leckte nach ihren Fingern, so dass seine rosa Zunge sich gegen die Wand drückte, als befände sie sich gleich auf der anderen Seite eines Glases. Vi schrie auf, machte einen Satz zurück und griff gleichzeitig nach dem Dolch an ihrem Gürtel, der natürlich nicht mehr da war.
    »Sein Name ist Paet«, erklärte Schwester Ariel. »Er war eins meiner Lieblingstiere. Er wacht erst gegen Mittag auf.«
    »Was?«
    »Er ist ein Zeitmesser. Sieh her«, sagte Schwester Ariel und blieb vor einem der Klassenzimmer stehen.
    Sachte pulsierten die Decken nacheinander in Violett, Rot, Gelb, Grün und Blau, als eine Glocke läutete. Sekunden später strömten mehrere hundert Mädchen zwischen zehn und vierzehn Jahren in einer Flut von Lärm und Bewegung in die Flure hinaus. Vi sah mehr neugierige Blicke als ängstliche. Anscheinend hatten die Gerüchte sich noch nicht in der ganzen Schule ausgebreitet. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und runzelte finster die Stirn.
    »Der Unterricht beginnt in fünf Minuten. Kannst du lesen und schreiben?«

    »Natürlich«, antwortete Vi. Ihre wertlose Mutter hatte so viel immerhin getan.
    »Gut. Ich werde dich gegen Mittag abholen. Oh, und Vi? Wenn du während des Unterrichts eine Frage hast, hebe die Hand. Schwester Gizadin nimmt das sehr genau. Wenn du aufgerufen wirst, erhebst du dich und verschränkst die Hände hinter dem Rücken. Wenn du es nicht tust, wird man dich für respektlos halten. Oh, und keine Magie. Und vergiss nichts. Lektionen werden in Triaden arrangiert, um das zu fördern.«
    »Triaden?«, wiederholte Vi, aber Schwester Ariel war bereits gegangen.
    Fünf Minuten später saß Vi auf einem zu kleinen Stuhl an einem zu kleinen Pult in der ersten Reihe eines Vorlesungssaals. Drei Wände bestanden aus schmucklosem, weißem Stein. Die Ostwand jedoch war transparent wie Glas. Die späte Morgensonne schien und tauchte den Vestacchi-See und die schneebedeckten Berge in ihr Licht. Der See war von dem tiefsten Blau, das Vi je gesehen

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