Jenseits der Sehnsucht (German Edition)
wessen Schuld ist das? Du hattest ausreichend Zeit, dir die beiden zusammen anzusehen. Wenn es dich interessiert hätte.«
Jetzt sah sie die Wut in seinen Augen funkeln. »Zeit ist genau das Problem.« Jacob stand auf. »Ich weiß nur, dass mein Bruder eine überstürzte Entscheidung getroffen hat, noch dazu eine, die sein ganzes Leben umgekrempelt hat. Und ich gedenke sicherzustellen, dass es kein Fehler war.«
»Du gedenkst …?« Sunny verschluckte sich an dem Keks und musste einen Schluck trinken, bevor sie wieder sprechen konnte. »Ich weiß nicht, wie die Dinge in eurer Familie gehandhabt werden, Freundchen, aber in unserer gibt es kein Komitee, das Entscheidungen trifft. Wir betrachten uns als freie Individuen, die für sich selbst wählen.«
Um ihre Familie scherte er sich keinen Deut. Dafür umso mehr um seine. »Die Entscheidungen meines Bruders haben eine Menge Leute in Mitleidenschaft gezogen.«
»Klar, seine Heirat mit Libby hat den Lauf der Geschichte geändert«, schnaubte sie abfällig und warf die Keksschachtel auf die Anrichte. »Wenn du so besorgt bist, warum hast du dir über ein Jahr Zeit gelassen, hier aufzutauchen?«
»Das ist meine Sache.«
»Oh, ich verstehe. Und die Heirat meiner Schwester ist auch deine Sache, was? Du bist ein richtiger Pinsel, Hornblower.«
»Wie bitte?«
»Ich sagte, du bist ein Pinsel.« Sie fuhr sich durchs Haar. »Nun, dann rede eben mit ihm, wenn die beiden zurückkommen. Allerdings eines hast du nicht bedacht: Cal und Libby lieben sich, sie gehören zusammen. Wenn du mich dann entschuldigen würdest, ich habe noch andere Sachen zu erledigen. Du findest doch alleine nach draußen, oder?«
Sunny stürmte davon. Sekunden später hörte Jacob ein Geräusch, von dem er annahm, dass es das laute Schlagen einer Holztür sein musste.
Eine höchst anstrengende Frau, dachte er. Interessant, aber anstrengend. Er musste sich etwas einfallen lassen, wie er mit ihr zurechtkam, da er seinen Aufenthalt hier offensichtlich verlängern musste, bis Cal zurückkam.
Der Wissenschaftler in ihm sah darin eine unglaubliche Chance. Eine primitive Kultur vor Ort zu studieren, mit Vorfahren – nun, so ungefähr – von Angesicht zu Angesicht zu reden. Jacob sah zur Holzdecke hinauf. Die lebhafte Sunbeam würde es wohl kaum schätzen, als Urahnin bezeichnet zu werden.
Persönlich allerdings empfand er den Kontakt zu dieser primitiven Frau als Zumutung. Sie war unhöflich, streitsüchtig und aggressiv. Vielleicht konnte man auch ihm diese Eigenschaften zuschreiben, aber er war ihr dennoch überlegen. Schließlich war er ein paar Jahrhunderte älter als sie.
Als Erstes würde er jetzt zu seinem Schiff zurückkehren und in der Datenbank nachsehen, welche Bedeutung das Wort »Pinsel« im zwanzigsten Jahrhundert gehabt hatte.
Sunny hätte ihm sicher nur allzu bereitwillig die exakte Definition gegeben. Um genau zu sein, während sie missmutig in ihrem Zimmer auf und ab stapfte, fielen ihr mindestens noch ein Dutzend weit herzhaftere Bezeichnungen für diesen Mann ein.
Der hatte wirklich Nerven! Mehr als ein Jahr nach der Heirat seines Bruders und ihrer Schwester hier so einfach aufzutauchen! Und nicht etwa, um zu gratulieren, nein! Auch nicht für ein nettes kleines Familientreffen, sondern um mit seiner unverschämten Unterstellung aufzuwarten, Libby sei nicht gut genug für seinen Bruder!
Idiot. Mistkerl. Lackaffe.
Als sie am Fenster vorbeikam, sah sie ihn. Ihre Hand lag schon auf dem Riegel, um das Fenster aufzureißen und ihrem Ärger Luft zu machen. Aber ihre Wut verpuffte so schnell, wie sie aufgeflammt war.
Warum, um alles in der Welt, ging er in den Wald? Ohne Jacke? Mit zusammengekniffenen Augen sah sie ihm nach. Wo, zum Teufel, wollte er hin? Da gab es doch nichts außer Bäumen.
Eine Frage schoss ihr durch den Kopf, die sie sich bis jetzt noch gar nicht gestellt hatte: Wie war er überhaupt hierher gekommen? Die Hütte lag Meilen entfernt von der Stadt, und bis zum nächsten Flughafen fuhr man mindestens zwei Stunden. Wie war dieser Mann in ihr Schlafzimmer gekommen, ohne Jacke, Mütze oder Handschuhe, und das mitten im Winter?
Kein Auto, kein Geländewagen, nicht einmal ein Schneemobil stand vor der Hütte. Anzunehmen, er sei per Anhalter gekommen, war einfach lächerlich. Man marschierte nicht einfach auf gut Glück mitten im Januar in die Berge. Zumindest nicht, wenn man geistig gesund war.
Ein Schauer trieb sie vom Fenster zurück. Vielleicht war das die Antwort.
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