Jenseits der Sehnsucht (German Edition)
so lange, bis die erste Alarmsirene ertönte. Wartete immer noch, während sein Schiff unter den zwingenden Kräften von Gravitation und Geschwindigkeit bockte und rotierte. Die gedämpfte Stimme des Bordcomputers ertönte, nannte Geschwindigkeit, Position und – das Wichtigste – Zeit.
Obwohl ihm das Blut in den Ohren rauschte, drückte er den Hebel mit ruhiger Hand noch weiter nach vorn, beschleunigte noch mehr, verlangte dem ohnehin überlasteten Antrieb das Äußerste ab.
Er flog auf die Sonne zu, schneller, als je ein anderer Mann geflogen war. Mit zusammengebissenen Zähnen legte er den Hebel bis zum Anschlag um. Ein Rütteln ging durch das Schiff, es begann zu trudeln, drehte sich um die eigene Achse, während es sich gleichzeitig überschlug – ein Mal, zwei Mal, drei Mal, bevor es dem Piloten gelang, die Maschine wieder auf Kurs zu bringen. Die Zentrifugalkraft drückte ihn in den Sitz, und in der Kabine explodierten Licht und Schall, während er darum kämpfte, den Kurs zu halten. Es musste ihm gelingen, sonst wäre alles vorbei.
Einen Augenblick lang glaubte er mit ergebenem Fatalismus, er würde von der Gravitation der Sonne zerdrückt, anstatt von ihrer Hitze pulverisiert zu werden. Und dann war sein Schiff auf einmal frei, wurde zurückkatapultiert wie der Pfeil von einer gespannten Bogensehne. Während er noch darum kämpfte, wieder zu Atem zu kommen, korrigierte er die Kontrolleinstellungen und reiste seinem Schicksal entgegen.
Am meisten beeindruckte Jacob die Weite der Landschaft. So weit er blicken konnte, nichts als Gebirge und Wälder und blauer Himmel. Es war friedlich, nicht still, aber friedlich. Das Rascheln von kleinen Tieren im Gebüsch war zu hören und das Gezwitscher von Vögeln. Spuren in der unberührten Schneedecke zeugten davon, dass auch größere Tiere hier lebten. Allerdings sagte der Schnee ihm auch, dass er sich bei seinen Kalkulationen um mindestens einige Monate verrechnet haben musste.
Nun, für den Moment würde er sich damit zufrieden geben müssen, dass er ungefähr da war, wo er sein wollte. Und dass er überlebt hatte.
Von Natur aus gründlich, ging er zu seinem Schiff zurück, um Fakten und Eindrücke zu speichern. Er hatte Fotos und Filme über diesen Ort und diese Zeit gesehen. Das ganze letzte Jahr über hatte er jeden Schnipsel an Information über das zwanzigste Jahrhundert studiert, alles, was er in die Finger bekommen konnte. Kleidung, Sprache, sozialpolitische Lage. Als Wissenschaftler war er fasziniert gewesen. Als Mann abwechselnd entsetzt und amüsiert. Und völlig fassungslos, dass sein Bruder sich freiwillig dazu entschieden hatte, in dieser primitiven Zeit zu leben. Wegen einer Frau.
Jacob öffnete ein kleines Fach und holte ein Foto hervor. Ein gutes Beispiel für die rückständige Technologie des zwanzigsten Jahrhunderts, dachte er und betrachtete das Polaroid-Foto in seiner Hand. Calebs Grinsen war wie immer. Er sah zufrieden aus, wie er da auf den Stufen dieser kleinen Holzkonstruktion saß, gekleidet in Jeans und einen weiten Pullover. Neben ihm saß eine Frau, der er den Arm um die Schultern gelegt hatte. Die Frau hieß Libby. Sie war zweifelsohne attraktiv, das musste man ihr lassen. Vielleicht nicht ganz so auffällig wie der Typ, den Caleb sonst bevorzugte, aber zumindest nicht beleidigend fürs Auge.
Was war an dieser Frau, das Caleb dazu gebracht hatte, sein Heim, seine Familie, seine Freiheit aufzugeben?
Da er fest entschlossen war, diese Frau nicht zu mögen, warf Jacob das Bild achtlos zurück in das Fach. Er würde sich diese Libby selbst ansehen. Sich ein eigenes Urteil bilden. Und dann würde er Cal einen anständigen Tritt verpassen und ihn nach Hause holen.
Zuerst allerdings gab es einige Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.
Jacob verließ die Brücke und ging zu seinem Privatquartier, um den Fluganzug gegen Jeans und Pullover zu tauschen. Diese Kleidungsstücke aus Baumwolle hatten ihn ein kleines Vermögen gekostet. Wirklich exzellente Reproduktionen, dachte er, als er die Jeans über seine langen Beine streifte. Und zugegebenermaßen extrem bequem.
Fertig umgezogen, betrachtete er sein Spiegelbild. Sollte er während seines Aufenthalts – von dem er hoffte, dass es ein sehr kurzer werden würde – auf Einwohner treffen, wollte er nicht auffallen. Weder hatte er Zeit noch Lust, sich Menschen zu erklären, die auf einer so zurückgebliebenen Entwicklungsstufe standen und sicherlich nicht die Hellsten waren. Auch verspürte
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