Jenseits Der Unschuld
ihr bis nach Paris nach. « Er straffte die Schultern, Wut stieg in ihm hoch. »Ich wollte ihr lediglich frohe Weihnachten wünschen.«
Suzanne beobachtete ihn argwöhnisch.
Edward verneigte sich knapp, ging zur Tür, riss sie auf und schlug sie so heftig hinter sich zu, dass der daran befestigte Kranz aus Tannengrün und Mistelzweigen bedenklich ins Wanken geriet. Wutentbrannt stapfte er die Stufen hinunter. Als hätte er die Absicht, ihr nachzustellen. Gütiger Himmel! Edward Delanza lief keiner Frau nach, die Frauen liefen ihm nach. Er dachte nicht im Traum daran, einem mageren, exzentrischen Blaustrumpf nachzustellen, einer Frau, die es vorzog, Kunst zu studieren und Malerin zu werden, statt ein Leben an seiner Seite zu führen.
Edward entschloss sich nun doch, im La Boite vorbeizuschauen und sich mit einer charmanten, jungen Dame den Nachmittag und Abend zu versüßen. Sollte Sofie doch ihre Malerei mit ins Bett nehmen. Pah! Da hatte sie sich einen famosen Bettgefährten ausgesucht!
Als er sich hinter das Steuer des Daimlers setzte, schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, ob sie die Kunst gewählt hatte, weil sie ein weitaus besserer Gefährte war als ein Mann, der seine einzige erstrebenswerte Lebensaufgabe darin sah, seine Lust zu befriedigen, wozu nicht zuletzt das Zerstören einer Unschuld zählte.
Sofie hatte sich nie einsamer gefühlt. Nachdem Paul sie dazu überredet hatte, den Heiligen Abend mit ihm bei der Familie seines Sohnes zu feiern, war sie sich ihrer Rolle der Außenseiterin peinlich bewusst. Simon liebte seinen Vater und schien ihm nicht nachzutragen, dass Paul die Familie verlassen und jahrelang im Ausland gelebt hatte.
Simons Frau Annette war reizend und fürsorglich um ihre Gäste bemüht, und die beiden kleinen Töchter waren entzückend. Sofie beobachtete, wie liebevoll die Familie miteinander umging, ohne dass sie sich daran beteiligen konnte. Sie hatte sich nie einsamer, unglücklicher und trauriger gefühlt.
Sie wünschte, in New York bei ihrer Familie zu sein, sehnte sich nach ihrer Mutter und nach Lisa. Sogar nach Benjamin sehnte sie sich, zu dem sie keine besonders herzliche Beziehung hatte. Doch sie weigerte sich, an Edward zu denken.
Man hatte gegessen und war vom Tisch aufgestanden. Die Mädchen spielten mit ihren Weihnachtsgeschenken unter dem Christbaum, dessen Zweige beinahe bis in die Mitte des kleinen Zimmers ragten. Die Kinder hatten den Baum liebevoll mit Lebkuchen, Äpfeln und Zuckerkringeln geschmückt. Paul und Simon tranken Cognac und rauchten Zigarren. Annette hatte es sich in einem Lehnstuhl bequem gemacht und sah lächelnd den spielenden Kindern zu. Sie hatte ganz allein ein mehrgängiges Festmahl gekocht und wirkte erschöpft. Sofies Angebot, ihr zur Hand zu gehen, hatte sie strikt abgelehnt, sie sei schließlich Gast. Ein Außenseiter. Sofie gehörte nicht zur Familie, und auch die rührendste Gastfreundschaft konnte darüber nicht hinwegtäuschen.
Oh, Edward. Sofie vermochte sich nicht länger gegen ihre schmerzlichen Gedanken zur Wehr zu setzen. Werde ich mein ganzes Leben allein sein?
Sie war gefährlich nahe daran, die Fassung zu verlieren und in tiefe Niedergeschlagenheit zu versinken. Aus welchem Grund eigentlich? schalt sie sich. In fünf Monaten erwartete sie ihr süßes Baby, und dann hatte sie selbst eine Familie, wenn auch nur eine kleine. Sofie nahm sich fest vor, ihrem Kind Vater und Mutter zu sein. Das Kleine sollte nicht einmal merken, dass es keinen Vater hatte.
Vor Sofie lag eine schwierige Aufgabe, und sie weigerte sich, darüber nachzudenken, welche Schwierigkeiten und Hindernisse eine unverheiratete Mutter zu bewältigen hatte, die nicht nur ihr Kind alleine großziehen musste, sondern auch ihrem Beruf, besser gesagt ihrer Berufung, nachgehen wollte.
Ein paar Stunden später verabschiedeten Paul und Sofie sich von ihren Gastgebern, und Simon borgte seinem Vater Pferd und Wagen. Sofie graute vor dem Gedanken, in die Pension zurückzukehren, die seit einer Woche wie ausgestorben war, da alle Pensionsgäste über die Weihnachtsfeiertage zu ihren Verwandten gereist waren. Auch Rachelle, die seit ein paar Wochen Sofies Gesellschafterin war und nun bei ihr in der Pension wohnte, war in ihr Heimatdorf in die Bretagne gereist. Sofie fasste den Entschluss, ins Atelier zu fahren. Zum ersten Mal seit Monaten verspürte sie den Wunsch zu malen. Gleichzeitig fragte sie sich bang, wie lange dieser Wunsch vorhalten, ob der Drang stark genug sein
Weitere Kostenlose Bücher