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Jenseits Der Unschuld

Jenseits Der Unschuld

Titel: Jenseits Der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
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würde, aus flüchtigen Skizzen ein Ölbild entstehen zu lassen.
    Paul hielt den Einspänner vor dem Haus, in dem sich Sofies Atelier befand, und drehte sich zu ihr um.
    »Weihnachten ist eine schwierige Zeit, wenn man allein ist. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.«
    »Ich hoffe, man hat mir meine Niedergeschlagenheit nicht zu deutlich angesehen.«
    Paul lächelte. »Sofie, wenn Sie nur lernen würden, sich Ihre Gefühle etwas deutlicher anmerken zu lassen. Das würde Ihnen manches im Leben erleichtern.«
    Edward hatte ihr genau den gleichen Rat gegeben, nur in anderen Worten. »Bin ich denn wirklich ein solcher Stockfisch?«
    »Nein, petite. Aber das Leben hat auch schöne Seiten. La vie est belle. Gibt es etwas, worüber Sie mit mir sprechen wollen, Sofie?«
    Sofie blickte in Pauls sanfte braune Augen, in denen sie väterliche Besorgnis las. Ihr weiter Wollmantel und der grobgestrickte Pullover darunter kaschierten ihren wachsenden Leibesumfang. Ahnte Paul etwas? Bald würde er es ohnehin wissen, bald würde alle Welt es wissen, doch Sofie wollte nicht darüber sprechen, noch nicht. Wenn sie anfing, von Edward zu sprechen und davon, wie sehr sie ihn liebte, würde sie nie wieder aufhören zu reden. »Nein, Paul«, flüsterte sie. »Nein.«
    »Werden Sie heute Nacht malen?«
    »Ja.« Sofies Pulsschlag beschleunigte sich. »Ich denke schon.«
    Sofie rannte die steilen Holzstufen hinauf, sperrte die Tür zum Atelier auf und entzündete die Petroleumlampen. Sie hatte keine Zeit zu verlieren' Ihre innere Spannung wuchs. Sie riss den Deckel der großen Kiste auf und kramte mit fliegenden Fingern nach ihren Entwürfen und fand die einzige Skizze, die sie vom Delmonico angefertigt hatte, als Edward ihr für kurze Zeit Modell gesessen hatte. Sie betrachtete die flüchtige Skizze der sich lässig räkelnden Gestalt. Und plötzlich war ihr der bezaubernde Nachmittag wieder gegenwärtig, als sei es gestern gewesen.
    Sofie achtete nicht auf die Tränen, die ihr über die Wangen liefen. Sie wusste, was sie zu tun hatte, als stünde sie unter einem inneren Zwang. Sie musste Edwards Porträt vollenden, jetzt sofort. Ehe sie dieses wunderschöne Zusammensein mit ihm vergaß.
    Sofie zog den Pullover aus und band sich die grobe Schürze um,. öffnete die Farbtuben und bereitete ihre Palette vor. Sie wollte dem Bild heitere, helle, unbeschwerte Farben geben, ähnlich wie in Junger Mann 4m Strand, die Heiterkeit aber durch kontrastreiche grelle Rot- und Orangetöne brechen. Um die Lebendigkeit des Augenblicks einzufangen und dem Betrachter den Eindruck der Unmittelbarkeit nahezubringen, wollte sie im Bildvordergrund Arm und Hand des Kellners gestisch festhalten, der den Gast bediente.
    Zum ersten Mal seit vier Monaten nahm Sofie einen Pinsel zur Hand, zitternd vor Aufregung. Und sie kehrte tagelang nicht in die Pension zurück, vergaß Ort und Zeit.
    »Sofie!«
    Sofie regte sich. Sie war auf dem ausgeblichenen Sofa, das sie beim Trödler erstanden hatte, in einen tiefen, traumlosen Schlaf gesunken.
    »Sofie? Bist du krank?« Rachelle rüttelte sie erneut.
    Sofie blinzelte benommen, wusste im ersten Augenblick nicht, wo sie war. Es kostete sie Mühe aufzuwachen. Doch dann begegnete sie Rachelles großen, türkisgrünen Augen. Sofie richtete sich auf und stützte sich auf den Ellbogen.
    »Du warst seit Tagen nicht in der Pension. Als ich heute Morgen ankam, habe ich sofort bei Paul vorbeigeschaut, weil ich dich bei ihm vermutete. Er sagte mir, dass er dich am Weihnachtsabend hier abgesetzt und seither nicht gesehen hat. Sofie! Du bist seit fast einer Woche hier! «
    Sofie war nun vollends wach. »Ich habe gearbeitet. «
    Rachelle beruhigte sich ein wenig. »ja, das sehe ich.« Nach einem prüfenden Blick erhob sie sich und durchquerte das Atelier. Wie immer trug sie ihre derben Männerstiefel, ein formloses Wollkleid, diesmal in Grün, und das scharlachrote Tuch um die Schultern. Mit ihrer wilden roten Haarmähne sah sie wie immer wunderschön aus.
    Rachelle stellte sich vor die Leinwand und stemmte die Hände in die Hüften.
    Sofie blieb auf dem Diwan sitzen, ihr Puls raste. Von der Leinwand in der Mitte des leeren Raums lächelte Edward ihr entgegen. Seine Augen leuchteten heiter, warm, verführerisch. Er war in verschiedenen Weißschattierungen gekleidet. Der Tisch vor ihm war elfenbeinweiß gedeckt. Das Restaurant im Hintergrund aber war ein lebhaftes Gewoge aus grellem Rot, Orange und Purpurtönen, eine aufgewühlte See, in der

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