Jenseits Der Unschuld
lächelnde Gesichter schwammen.
In der linken vorderen Ecke griff der schwarze Ärmel und die helle Hand des Kellners in das Bildgeschehen ein, um die Beschaulichkeit der Darstellung spannungsgeladen zu brechen.
Rachelle wandte sich zu Sofie um. »Wer ist der Mann?«
»Sein Name ist Edward Delanza.«
Rachelle sah sie fragend an. »Ist er wirklich so schön ... so männlich?«
Sofie errötete. »Ja.« Unterdessen hatte sie sich an Rachelles freimütige Art gewöhnt. Rachelle hatte einen Geliebten, einen Dichter namens Apollinaire, und er war nicht ihr erster Liebhaber.
Rachelles Blick wanderte zu Sofies schwellendem Leib. »Ist er der Vater? »
Sofies Herz machte einen Satz, das Blut wich aus ihrem Gesicht.
»Nun hör schon auf, mir was vorzumachen, ma petite.« Rachelle setzte sich neben sie und nahm ihre beiden Hände.
»Ich bin deine Freundin, non? Ich wusste es von Anfang an. Paul konntest du vielleicht etwas vormachen, aber Männer sind in dieser Hinsicht ziemlich dumm.«
Sofie starrte Rachelle an. Sie hatte alle Tränen vergossen, während sie Edward gemalt hatte. Nun blieben ihre Augen trocken, nur ihr Herz weinte. »ja, ich bekomme ein Kind von ihm«, flüsterte sie.
Rachelle spitzte die Lippen. »Tja, jetzt ist es wohl zu spät, um etwas dagegen zu unternehmen. Vor zwei Monaten hätte ich dich noch zu einem Arzt bringen können, der es dir weggemacht hätte.«
»Nein! Ich will das Kind, Rachelle. Ich will es um jeden Preis!«
Rachelle lächelte sanft. »Dann ist ja alles gut.«
»Ja.« Sofie nickte zustimmend. »Es ist alles gut.«
Die Freundinnen saßen stumm nebeneinander. Ihre Blicke wanderten zurück zu dem Ölbild, zu der faszinierenden Männergestalt, die lässig zurückgelehnt von der Leinwand lächelte. »Weiß er es?« -
»Wie bitte?«
»Weiß er es? Weiß er, dass du ein Kind von ihm erwartest?«
Sofie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Das Sprechen fiel ihr schwer. »Nein.«
Rachelle sah sie nachdenklich an. »Wäre es nicht angebracht, es ihm zu sagen?«
Sofie schluckte schwer, ihr Blick flog wieder zur Leinwand. Ihre Augen wurden feucht. »Ich habe mir diese Frage oft gestellt«, antwortete sie schließlich.
»Und wie lautet die Antwort?«
Sofie sah ihre schöne, weltkluge Freundin lange an. »Natürlich muss er es erfahren. Aber aus irgendeinem Grund scheue ich davor zurück, es ihm zu sagen. Ich habe Angst, dass es ihm gleichgültig ist, und zugleich habe ich Angst, dass es ihn zu sehr interessiert.«
Rachelle tätschelte ihre kalte Hand. »Ich bin sicher, du tust letztlich das Richtige.«
»Ja«, antwortete Sofie. »Ich werde das Richtige tun. Ich muss es tun.« Sie entzog sich Rachelle, stand auf und trat ans Fenster. »Aber das Baby kommt erst Ende Juni zur Welt. Ich habe noch Zeit.«
Rachelles Blick wurde traurig.
»Paul, ich bin müde. Ich habe keine Lust, ins Zut zu gehen.« Doch Paul Verault wollte nicht auf sie hören und legte ihr einen leichten Schal um die Schultern. »Sie übernehmen sich, petite, und brauchen
Abwechslung.« Mit diesen Worten führte er sie zur Tür. »Schließlich sind Sie in anderen Umständen.«
Sofie fügte sich seufzend und begleitete ihn. »Als ich das Bild vom Delmanico's begann, konnte ich doch nicht ahnen, dass ich nicht mehr aufhören kann.«
»Ich weiß, petite«, meinte Paul verständnisvoll. Er legte einen Arm um sie und half ihr die steilen Stufen hinunter.
»Ich weiß, wie hart Sie gearbeitet haben und welche Mühe Sie das Bild gekostet hat. Und nebenbei haben Sie noch ein paar andere Meisterwerke geschaffen.«
Sofie durchfuhr ein Schauder. Paul wusste, wie viel Kraft sie in ihre Arbeit gesteckt hatte; er kam jeden Tag in ihr Atelier, und er war nicht der einzige Besucher. Sofie hatte unterdessen viele Freunde gewonnen, meist Maler und Kunststudenten und die beiden Dichter Georges Fraggard und Guy Apollinaire. Alle schauten gelegentlich bei ihr herein, und Georges besuchte sie wie Paul beinahe täglich.
Sofie wollte lieber nicht daran denken, wieso Georges sie so häufig aufsuchte, vermutete aber, er sei in Rachelle verliebt, die sich im März von Apollinaire getrennt hatte. Eine andere Erklärung gab es nicht. Georges flirtete mit jeder Frau. Nur nicht mit Sofie. Er neckte und hänselte sie nicht mehr wie zu Beginn ihrer Bekanntschaft. Seit er von ihrer Schwangerschaft wusste, behandelte er sie höflich und mit Respekt.
Sofie vermisste seine Scherze und Neckereien. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie wohltuend
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