Jenseits Der Unschuld
einige seiner Kunden Interesse an dem Bild gezeigt.«
Sofie dampfte ihre aufsteigenden Hoffnungen. Delmonico's wurde seit Januar angeboten, ohne einen Käufer zu finden. Auch ihre anfängliche Euphorie, dass ihre Arbeiten Anklang bei zwei der berühmtesten Pariser Galeristen fanden, hatte sich mittlerweile wieder gelegt. »Durand-Ruel hat mir kürzlich mitgeteilt, dass die Porträts von meinem Vater und von Lisa endlich einen Käufer in New York gefunden haben.«
»Erfreuliche Nachrichten«, erwiderte Paul und lächelte.
Es war ein warmer Frühlingstag, und Sofie nahm den Schal ab. Am Straßenrand unter knospenden Bäumen blühten die ersten Gänseblümchen, und in den Blumenkästen auf den Fenstersimsen leuchteten Stiefmütterchen und Vergissmeinnicht. Die beiden schlenderten über die Place des Abbesses, vorbei am bateau lavoir, einem alten baufälligen Mietshaus, in dem viele der nahezu mittellosen Künstler wohnten, darunter auch einige von Sofies Freunden. Die Ladenbesitzer standen in Hemdsärmeln und Schürzen 'in den offenen Türen; zwei Buchhändler, ein Antiquitätenhändler und ein Farbenhändler. Alle grüßten freundlich. »Bonjour, Verault, bonjour, Solie. Ca va?«
Paul warf seiner Begleiterin heimliche Seitenblicke zu. »Was hören Sie von Ihrer Familie, Sofie?«
»Ich glaube, Lisa hat sich verliebt. Ihren schmachtenden Briefen entnehme ich, dass der Marquis von Connaught, Julian St. Clare ihr schöne Augen macht. Ziemlich hochtrabender Titel, wie?«
Paul brummte. »Und von Ihrer Mutter?«
Sofie versteifte sich. »Sie hat es endlich aufgegeben, mir einzureden, Rachelle zu entlassen.«
Die beiden bogen um eine Straßenecke. Ein kleiner Junge kam angelaufen und bettelte um eine Münze. Sofie gab ihm eine. Zwei schlampig gekleidete, unfrisierte Frauen, offenbar heruntergekommene Straßenmädchen, die in einem Hauseingang lehnten, bedachten Sofie mit finsteren Blicken.
Mrs. Crandal hatte Rachelle von Anfang an abgelehnt und kein Blatt vor den Mund genommen. Rachelle sei nicht nur Malermodell, sie sei ein Flittchen durch und durch und kein Umgang für Sofie. Wieder in New York, hatte sie umgehend Suzanne aufgesucht und ihr in lebhaften Farben geschildert, welch lockeres Leben ihre Tochter auf dem Montmartre führe und dass sie sich zu allem Überfluss noch mit dieser leichtfertigen Rachelle angefreundet habe.
Suzanne hatte Sofie sofort einen Brief geschrieben und verlangt, Sofie müsse diese Rachelle umgehend entlassen.
Weiterhin hatte sie ihr streng verboten, sich mit Tagedieben und Verrückten abzugeben, die sich als Maler und Dichter ausgaben und nur in Bars herumlungerten.
Sofie, die Rachelle tief ins Herz geschlossen hatte, dachte nicht daran, sich von ihr zu trennen. Sie hatte ihrer Mutter in ihrem nächsten Brief erklärt, Mrs. Crandal habe übertrieben, Künstler lebten nun mal ein etwas freieres Leben, was braven Bürgern ein Dorn im Auge sein mochte. Aber sie seien allesamt harmlos und keine lockeren Vögel, wie die prüde Mrs. Crandal behauptete.
Paul und Sofie warteten an der nächsten Straßenkreuzung, bis ein hochbeladenes Fuhrwerk vorbeigerumpelt war.
Paul hielt sie am Ellbogen. »Kommt sie? Sie sollten jetzt nicht allein sein.«
»Ich bin nicht allein«, brauste Sofie auf. »Ich habe Sie, und ich habe Rachelle.« Arm in Arm überquerten die beiden die Straße. »Ich bin froh, wenn sie nicht kommt. Sie würde nur an allem herummäkeln, an meinem Lebenswandel, meinen Freunden, an Montmartre, an allem.«
»Sie sollten nicht allein sein«, entgegnete Paul unbeirrt.
Sofie weigerte sich, an Edward zu denken, nicht jetzt, nicht heute.
Die beiden betraten die kleine Bar Zut an der Place Pigalle. Das holzgetäfelte Lokal war bereits an diesem frühen Nachmittag ziemlich voll und laut. Die Gäste saßen an kleinen Tischen oder standen an der langen Theke. Einige Köpfe wandten sich den Neuankömmlingen zu, man lächelte herüber, winkte. Das Zut war Pauls Stammlokal, und anfangs war Sofie sich geradezu verworfen vorgekommen, wenn Paul sie abends zu einem Glas Wein ins Zut einlud. Hier verkehrten junge engagierte Künstler, Maler und Dichter gleichermaßen, die Sofie herzlich in ihrer Gemeinschaft aufgenommen hatten.
»Ah, c'est la Boheme«, rief ein Gast herüber, und andere wiederholten den gutmütigen Scherz.
Sofie lächelte verlegen. Georges hatte ihr diesen Spitznamen gegeben, kurz nachdem sie ihn kennengelernt hatte.
Nun saß er an einem der hinteren Tische neben Rachelle.
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