Jenseits Der Unschuld
naiv. Als ich Delmonico's zum ersten Mal sah, wusste ich Bescheid. Er hat dich verlassen, hab' ich recht?« knurrte Georges wütend. »Welche Versprechen hat er gemacht - welche Versprechen hat er gebrochen?« Seine Augen sprühten Funken. »Er hat dich verführt, dir ein Kind gemacht und dich sitzen gelassen. Er ist kein Mann, er ist ein elender Schuft.«
Sofie starrte Georges voller Entsetzen an. Wusste denn die ganze Welt, dass Edward und sie ein Liebespaar waren, wenn auch nur für eine einzige Nacht? Hatten alle in ihrem Bild die Wahrheit erkannt?
»Komm zu mir«, sagte Georges nun leise, fast beschwörend. »Bei mir wirst du vergessen, dass der Kerl je existiert hat.«
Sofie erschrak über seine Worte, seinen Tonfall, seine Empfindungen. Sie schüttelte energisch den Kopf. »Ich kann nicht vergessen! «
»Doch du kannst. Ich helfe dir dabei, cherie.«
Die Weichheit seiner Stimme brachte ihre Tränen zum Fließen. Er war Edward so ähnlich. »Ich will nicht vergessen.«
Georges ließ sie los, Trauer überschattete sein Gesicht. »Wenn du deine Meinung änderst ... «, sagte er leise.
»Komm zu mir. Ich werde dir niemals weh tun, mon amour.« Damit drehte er sich um und verließ das Lokal.
Andre Vollards Galerie lag in der Rue St. Honore, in einem der vornehmsten Viertel von Paris. Er war im Begriff, sein Büro zu verlassen, um zum Montmartre in Freds Lokal zu fahren, wo ein kleines Fest zu Ehren der begabten amerikanischen Malerin Sofie O'Neil stattfand. Vollard wollte die Geburtstagsfeier um keinen Preis versäumen, hoffte er doch, die junge Künstlerin zu einem Exklusivvertrag mit seiner Galerie bewegen zu können.
Doch als er sich vom Schreibtisch erheben wollte, stürmte sein Assistent aufgeregt herein. »Monsieur Andre!
Kommen Sie schnell! Vorne im Laden ist Madame Cassatt -sie erkundigt sich nach der neuen Malerin, la belle americaine.«
Vollard sprang so hastig auf, dass sein Stuhl nach hinten kippte. Er hatte Mary Cassatt nicht unter Vertrag, da er sie erst kennengelernt hatte, als es bereits zu spät war. Beide bewegten sich in den Kreisen Kunstsachverständiger, hatten den gleichen Freundeskreis, bewunderten dieselben Künstler und ereiferten sich über solche, die sie für überschätzt und untalentiert hielten. Mary Cassatt genoss hohes Ansehen und übte beträchtlichen Einfluss auf die internationale Kunstszene aus, zumal ihre eigenen Werke sehr gefragt waren und enorme Preise auf dem Kunstmarkt erzielten. Sie fungierte mittlerweile als Agentin für den weltberühmten Sammler H.0. Havemeyer und dessen Gattin Louisine; ein Umstand, der ihr in der Kunstszene eine außergewöhnliche Machtstellung verlieh.
Wenn Mary Cassatt den Havemeyers den Kauf eines Bildes vorschlug, folgten sie nicht nur ihrem Rat sie förderten den Künstler geradezu besessen, erwarben mehrere Bilder des Künstlers und weckten damit ein ungeahntes Interesse an einem Neuling, von dem vielleicht vor wenigen Monaten noch kein Mensch gehört hatte. So konnte es geschehen, dass der Marktwert dieses Künstlers quasi über Nacht in schwindelerregende Höhen schoss. Vor kaum zehn Jahren war beispielsweise ein Degas noch für ein paar hundert Dollar zu haben. Erst letzte Woche hatte Durand-Ruel für einen Degas von einem Privatsammler mehr als sechstausend Dollar bezahlt.
Vollard eilte nach vorne in die Galerie, um Mary Casssatt zu begrüßen, die vor seiner Neuerwerbung von Sofie O'Neil stand.
»Bonsair, Andre«, grüßte sie ihn mit einem flüchtigen Lächeln. Der Blick der distinguierten, eleganten Frau Anfang Vierzig flog rasch wieder zu dem Ölbild an der Wand zurück. »Wer ist diese Sofie O'Neil? Ist sie Irin?«
»Nein, Amerikanerin, Mary. Im Moment lebt sie in Paris. Sie hat Talent, finden Sie nicht auch?«
»Ist sie jung?«
»Sehr jung. Erst einundzwanzig.«
»Ihre Begabung ist noch ungeschliffen, aber kraftvoll. Ihre Pinselführung ungewöhnlich" ebenso der Umgang mit Licht und Schatten. Sie wäre gut beraten, sich intensiv mit dem Studium von Kontrasten und Lichtreflexen zu befassen. Die Komposition ist kühn und originell. Ihre Detailgenauigkeit in den Gesichtszügen des jungen Mannes ist frappierend. Sie könnte es zu kommerziellem Erfolg bringen -wenn sie zur klassischen Malerei zurückfindet.«
Vollards Herz hämmerte., »Sie studiert seit ihrem dreizehnten Lebensjahr Malerei und hat nicht den Wunsch, zur alten Maltradition zurückzukehren. Vielmehr hat sie den sehnlichen Wunsch, ihre Studien bei einer
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