Jenseits Der Unschuld
Taschentuch aus ihrem Retikül und betupfte sich die Augen. Henry war so freundlich zu ihr.
Sie wusste gar nicht mehr, wieso sie damals nicht mit ihm spazieren gefahren war. Ach ja, Edward hatte sich angesagt, um ihr Modell zu sitzen. Edward ... »Henry, ich bin in Schwierigkeiten.« Er wartete, seine Miene war nun sachlich.
»Ich hatte eine böse Auseinandersetzung mit meiner Mutter und meinem Stiefvater, woraufhin ich das Haus verlassen habe.« Sie hob den Blick und sah ihn an. »Von meiner Mutter erhalte ich vierteljährliche Unterhaltszahlungen aus dem Vermögen, das mein Vater mir hinterlassen hat. Ich fürchte, Suzanne wird mir die nächste Rate nicht, aushändigen, und ich habe kaum noch Geld zur Verfügung. « »Wann ist die Rate fällig?« »Am ersten Januar. « »Wie hoch ist die Summe?« »Fünfhundert Dollar.«
»Ist Ihre Mutter die Verwalterin Ihres Vermögens?« »Ja.«
»Wann geht das Vermögen in Ihren Besitz über?« Henry machte sich Notizen. »An meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag. Oder wenn ich heirate.«
»Wie alt sind Sie?« Er räusperte sich. »Das ist eine rein juristische Frage. «
»Natürlich. Im Mai werde ich zweiundzwanzig.«
»Sehen Sie eine Chance zur Versöhnung zwischen Ihnen und Ihren Eltern?«
»Ich denke nicht.«
»Vielleicht durch Intervention eines Dritten?«
»Das halte ich für unwahrscheinlich«, antwortete Sofie.
Henry nickte. »Nun, ich denke, in ein paar Tagen kann ich Ihnen Antwort auf Ihre Fragen geben.«
Sofie beugte sich vor. »Das wäre wunderbar.« Dann zögerte sie. »Henry ... ehm ... Könnte ich mit der Bezahlung für Ihre Bemühungen warten, bis mir die Geldmittel zur Verfügung stehen?« Sie stockte. »Im Moment sind meine finanziellen Mittel sehr begrenzt.«
»Aber Sofie, ich berechne Ihnen gar nichts dafür«, sagte er und errötete. »Sie sind eine gute Freundin. «
Sofie stiegen die Tränen in die Augen. Sie schluckte. »Vielen Dank«, murmelte sie.
Henry zögerte. »Sofie, haben Sie sonst noch etwas auf dem Herzen?«
Sofie dachte an Edana, die mittlerweile hungrig sein musste. Rachelle würde ihr warme Milch aus der Flasche geben, woran Edana sich erst noch gewöhnen musste. Sofie mußte rasch zurück ins Hotel, um ihr Baby zu stillen.
Und plötzlich meldete sich auch bei ihr der Hunger. Aber sie hatte nur noch ein paar Dollar übrig, die für ein oder zwei Mahlzeiten für Rachelle und sie reichen würden. Wie sollte sie beinahe zwei Monate bis zum ersten Januar überleben?
»Sofie?« Henry beobachtete sie forschend. »Darf ich Ihnen aushelfen? Bis Sie wieder über eigene Geldmittel verfügen?«
Sofie zögerte. »In ein paar Tagen musste ich mir vielleicht etwas borgen.« Sie atmete flach. Er hatte keine Ahnung, dass sie für zwei weitere hungrige Münder zu sorgen hatte. Würde er so hilfsbereit sein, wenn er wüsste, dass sie ein Kind zu versorgen hatte?
Henry erhob sich und griff in die Brusttasche. »Hier.« Er ging um den Schreibtisch und hielt ihr ein Bündel Geldscheine hin- »Bitte. Nehmen Sie. Sie sehen sehr müde aus. Sie werden noch krank, wenn Sie sich weiter solche Sorgen machen.«
Sofie brachte ein dünnes Lächeln zustande. »Sie sind so freundlich. Danke.«
Henry errötete verlegen. »Wie könnte ich nicht freundlich zu Ihnen sein, Sofie?«
Kapitel 22
»Madam, ein Herr wünscht, seine Aufwartung zu machen.« Suzanne war nicht in der Stimmung, Besuch zu empfangen. Sie war erschöpft, denn sie hatte die ganze Nacht nicht geschlafen; ihre Augen waren gerötet und geschwollen vom Weinen. Sie sah nicht vorteilhaft aus. »Wer immer es ist, Jenson, schicken Sie ihn fort. « Jenson zog sich zurück. Suzanne trank einen Schluck Kaffee und schob den Frühstücksteller mit der angebissenen Scheibe Toast beiseite. Jenson kehrte umgehend zurück. »Ich fürchte, der Herr besteht darauf, Sie zu sehen. Es sei sehr dringend.«
Gereizt griff Suzanne nach der Visitenkarte. »Henry Marten, Esquire. Was will er?« »Er sagt, es handle sich um eine persönliche Angelegenheit.«
Suzanne fühlte sich belästigt, dennoch gab sie Jenson mit einem Nicken zu verstehen, den ungebetenen Gast hereinzuführen. Kurz darauf erschien Henry Marten in einem. schlechtsitzenden, leicht zerknitterten Anzug.
Suzanne bemerkte, dass er schmaler geworden war.
»Verzeihung, wenn ich Sie beim Frühstück störe«, sagte er mit einer höflichen Verneigung.
Suzanne machte eine wegwerfende Handbewegung, blieb sitzen und bot ihm nicht an, Platz zu nehmen.
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