Jenseits Der Unschuld
Finger bemerkt hatte. Er hatte nicht einmal gelächelt, kein einziges Mal. Wäre sie nicht Zeuge gewesen, mit welcher Leidenschaft er Lisa küsste, hätte sie ihn für einen kalten Fisch gehalten.
Lisa war nicht nur eine hübsche junge Frau. Sie war klug, gütig und großzügig. Ein Mann musste ein Narr sein, sich nicht in sie zu verlieben. Andererseits ... St. Clare erinnerte Sofie beängstigend an Edward, obwohl er ein anderer Typ war, blond und hellhäutig. Doch in seiner männlich erotischen Ausstrahlung ähnelte er Edward. Ein gutaussehender Mann wie er konnte die Herzen zahlloser Frauen brechen, und es wäre töricht zu denken, dass St.
Clare bislang wie ein Heiliger gelebt hatte. »Lisa, wie kannst du das nur denken?«
Lisa zögerte. »Er ist so ernst. Er behandelt mich mit ausgesuchter. Höflichkeit. Aber er lächelt nie, scherzt nicht mit mir ... Und seine Gespräche sind so oberflächlich, so gezwungen.«
»Hoffentlich lächelt er keine anderen Frauen an.«
»Nein. Manchmal frage ich mich ... vielleicht liegt ihm nichts an Frauen«, murmelte Lisa. »Dabei sind seine Küsse voller Leidenschaft. Und er ist so ... « Lisa stockte errötend. »So männlich.«
»Was weißt du eigentlich von ihm?« fragte Sofie und dachte an seine erste Frau.
»Er ist der einzige Sohn des Grafen von Keith. Seine Mutter ist vor vielen Jahren gestorben. Mehr weiß ich nicht.«
»Lisa, vielleicht bildest du dir das nur ein«, meinte Sofie sanft, wunderte sich jedoch, wieso der Marquis so wenig über sein Leben preisgab.
Tränen füllten Lisas Augen. »Aber ich liebe ihn ... Ich liebe ihn bis zum Wahnsinn! Und ich will ihn heiraten.
Hoffentlich ist seine Reserviertheit nur seiner steifen britischen Art zuzuschreiben. Ich bete zu Gott, dass er nach der Hochzeit auftaut und mir seine Liebe zeigt.«
Sofie beschlich ein banges Gefühl. »Du solltest möglichst bald ein offenes Gespräch mit ihm führen und ihm deine Bedenken schildern. Ich finde, du solltest mehr über seine Vergangenheit wissen - und über seine erste Frau.«
Lisa machte ein erschrockenes Gesicht. »Ich sehe ihn erst morgen kurz vor dem Ball wieder.«
»Vielleicht findet sich dann noch eine Gelegenheit.« Sofie zwang sich zu einem heiteren Ton. »Ich muss jetzt gehen. Edana muss bald gestillt werden, und meiner Mutter will ich auf keinen Fall begegnen.«
»Warte!« Lisa stieg aus der Wanne und hüllte sich in ein Badetuch. »Sofie, wo wohnst du? Wie kann ich dich erreichen?«
»Im Hotel Lexington in der 13. Straße.«
Lisa rieb sich trocken. »Letzte Woche war er hier.«
»Was sagst du da?« Sofie glaubte, sich verhört zu haben.
»Edward Delanza war hier und hat sich nach dir erkundigt. Ich war nicht zu Hause. Von Mrs. Murdock erfuhr ich, Suzanne habe behauptet, du seist in Boston, um Verwandte zu besuchen.«
Sofie hätte erleichtert sein müssen, dass ihre Mutter Edward auf eine falsche Fährte angesetzt hatte, statt dessen durchbohrte sie ein schmerzlicher Stich. »Was wollte er?«
»Er wollte dich sehen. Weiß er über Edana Bescheid?«
Sofie nickte.
Lisa starrte sie an. »Sofie, du musst mit ihm reden. Sofort.«
»Ich kann nicht. «
»Wieso nicht?« rief Lisa aufgebracht. »Er ist der Vater deines Kindes. Verdammt noch mal, Sofie! Er muss dich heiraten!«
Lisa hatte noch nie im Beisein ihrer Schwester geflucht. »Er hat mir bereits einen Antrag gemacht«, erwiderte Sofie leise. »Ich habe ihn abgewiesen.«
Lisa blieb der Mund offenstehen. »Du hast ihn abgewiesen? Wieso in aller Welt?«
»Weil ich ihn liebe. Weil er mich nicht liebt. Weil es ihm nur um Edana geht. Weil ich den Gedanken nicht ertrage, mit ihm verheiratet zu sein, während er sich mit anderen Frauen vergnügt.«
»Sofie, wenn er noch einmal in dieses Haus kommt ... «
»Nein! Sage ihm auf keinen Fall, wo er mich findet! « unterbrach Sofie ihre Schwester heftig.
Lisa schwieg.
Und da Sofie das Funkeln in Lisas Augen nicht gefiel, zog sie mit Rachelle und Edana noch am Nachmittag vom Hotel Lexington in eine Pension am Fluss.
Als Sofie sich zu Lisas Verlobungsfeier zurechtmachte, überlegte sie, wie sie sich hinter höflicher Distanz verstecken konnte, wenn sie später ihrer Mutter und ihrem Stiefvater begegnen würde.
Suzanne würde alle Hände voll zu tun haben, um ihre fünfhundert Gäste zu unterhalten. Ebenso Benjamin. Keiner der beiden würde Zeit finden, Sofie beiseite zu nehmen und ihr erneut den absurden Schritt aufzwingen zu wollen, Edana zur Adoption
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