Jenseits Der Unschuld
mischen.
»Ich bin nicht in der Küche«, ertönte Suzannes laute Stimme hinter ihr. »Sofie, warte!«
Sofie war bereits vor Schreck erstarrt stehengeblieben. Langsam drehte sie sich zu ihrer Mutter um.
Die beiden maßen einander mit kühlen Blicken. »Ich muss mit dir reden«, sagte Suzanne im Befehlston.
»Nein«, entgegnete Sofie.
Suzanne warf Henry einen Blick zu. »Wenn Sie uns bitte entschuldigen wollen, Mr. Marten. Ich muss mit meiner Tochter unter vier Augen sprechen. «
Doch Sofie hielt Henry energisch zurück. Zorn kochte in ihr hoch. Sie begann zu zittern. »Nein! Wir haben nichts zu besprechen. Rein gar nichts! Du bist grausam und selbstsüchtig und denkst nur an dich!« Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. Es war beinahe, als spreche eine Fremde aus ihr. »Mein ganzes Leben habe ich das getan, was du wolltest, nichts anderes! Du wolltest, dass ich mich vor der Welt verstecke, weil ich ein Krüppel bin, und ich habe mich versteckt, um dich nicht in Verlegenheit zu bringen! Es war dein Wunsch, dass ich unverheiratet bleibe, und ich habe deinem Wunsch zugestimmt, weil es einfacher war nachzugeben, als mich gegen dich aufzulehnen. Ich habe immer auf dich gehört. Ich habe dir vertraut. Ich war sogar so vertrauensselig zu denken, du würdest Edana ins Herz schließen, wenn du sie erst einmal gesehen hast. Und ich bin nach Hause gekommen, weil ich dich brauchte. Aber du hast mich im Stich gelassen, du hast mein Vertrauen missbraucht und mich verraten.
Doch du hast mich zum letzten Mal verraten. Ich glaube nicht, dass ich dir je verzeihen kann, was du mir angetan hast.«
Suzanne war aschfahl geworden. »Sofie ... Ich liebe dich. Alles, was ich getan habe, habe ich nur für dich getan.«
»Alles, was du getan hast«, entgegnete Sofie schneidend, »hast du nur getan, weil es dir von Nutzen war, nicht weil es für mich das beste war. «
Suzanne schluchzte. »Aber ich liebe dich!«
Sofie atmete tief durch. »Und ich liebe mein Kind. «
Suzannes entsetzter Blick flog zu Henry.
»Er weiß Bescheid, Mutter, er weiß alles«, fuhr Sofie verächtlich fort.
»Du Närrin«, flüsterte Suzanne entgeistert.
»Nein - du bist eine Närrin, weil du versuchst, mir mein Kind wegzunehmen.« Sofie machte auf dem Absatz kehrt und eilte durch die Halle. Henry hastete hinter ihr her.
Sofie schlotterte an allen Gliedern. In ihrem ganzen Leben war sie noch nie so wütend gewesen. Wie durch einen Schleier sah sie den festlich geschmückten Ballsaal, hörte halb betäubt die Klänge des Orchesters, das angeregte Plaudern der Gäste. Sie straffte die Schultern und hielt den Kopf hoch erhoben. Wenn sie sich in der Gewalt behielt und ein freundliches Lächeln aufsetzte, würde hoffentlich niemand etwas von ihrem inneren Aufruhr bemerken.
Niemand würde ahnen, welch furchtbare Vorwürfe sie ihrer Mutter an den Kopf geworfen hatte.
Trotz der tiefen Kränkung, die Suzanne ihr zugefügt hatte, war Sofie unendlich traurig über das Zerwürfnis. Würde sie es je wieder wagen, ihrer Mutter unter die Augen zu treten? Würde es je eine Versöhnung geben?
Die leichte Übelkeit, die sie den ganzen Tag über verspürt hatte, verstärkte sich. Henry war an ihrer Seite, als sie die drei weißen Marmorstufen in den Ballsaal hinabstieg. Auf dem glänzenden Parkett, zwischen den weißen Säulen, die zur hohen stuckverzierten Decke aufragten, tummelten sich an die fünfhundert Gäste.
»Kann ich etwas für Sie tun?« fragte Henry mitfühlend.
»Sie an meiner Seite zu wissen, ist mir ein großer Trost«, antwortete Sofie bewegt. »Es tut mir leid, dass Sie diese hässliche Szene miterleben mussten.«
Bevor Henry antworten konnte, hörte das Orchester auf zu spielen, und die Gespräche verstummten. »Da kommen sie«, flüsterte jemand.
Sofie wandte den Kopf. Die Verlobten erschienen auf der, Treppe. Lisa sah wunderschön aus in einer Wolke aus weißem Taft und gelben Spitzen. Der Marquis an ihrer Seite trug eine versteinerte Miene zur Schau. Hinter den Verlobten erschien Suzanne mit starrem Lächeln am Arm des stolzen Vaters. Sofies Blick flog zum Marquis zurück. Er machte den Eindruck, als sei die Verlobung für ihn eine Strafe. Fühlte er sich zu dieser Verbindung gezwungen?
Lisa lächelte gezwungen, auch sie machte einen unglücklichen Eindruck. Sofie glaubte, Tränen in ihren Augen schimmern zu sehen. Benjamin Ralston räusperte sich, stellte den Marquis vor und hielt eine kleine Rede, an deren Ende er die offizielle
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