Jenseits Der Unschuld
ihre Hände. »Ma pauvre. Was kann ich für dich tun?«
Sofie schüttelte den Kopf. »Nichts. Du kannst mir nicht helfen. Niemand kann mir helfen.«
Kaum eine Stunde später sprachen weitere Besucher vor. Diesmal waren es Benjamin Ralston und der Marquis von Connaught.
Sofie erschrak, als ihr die Besucher angekündigt wurden. Aufgrund der traumatischen Ereignisse nach dem Wiedersehen mit Edward hatte sie nicht mehr an Lisas Flucht gedacht. Benjamin war vermutlich von ihrer Mutter über ihren Aufenthaltsort unterrichtet worden. Im Übrigen hatten viele Gäste gesehen, wie Sofie mit Edward den Ball verlassen hatte. Es war kein Geheimnis, dass Edward im Savoy wohnte.
Sofie überprüfte ihr Aussehen im Spiegel. Sie musste Benjamin und St. Clare empfangen und darauf gefasst sein, um ihrer Schwester willen zu lügen; sie war nie eine gute Lügnerin gewesen.
Sofie erschrak über ihre geröteten und geschwollenen Augen. jeder sah ihr an, dass sie geweint hatte. Sie wirkte elend, verhärmt, hatte dunkle Ringe unter den Augen. Es blieb nicht einmal Zeit, sich das Haar aufzustecken, das sie zu einem lockeren Zopf geflochten hatte. Sie schwappte sich Wasser ins Gesicht und trocknete *sich ab, dann strich sie fahrig über den blauen Rock, verließ das Badezimmer und betrat den Salon.
Benjamin stand mitten im Zimmer, aschfahl im Gesicht, einen bitteren Zug um den Mund; neben ihm wartete der Marquis. Ein Blick in St. Clares zornfunkelnde, graue Augen genügte Sofie, um zu wissen, dass er die Sache nicht auf sich beruhen lassen würde. Und plötzlich fragte sie sich, ob sein maskenhaft starres Gesicht bei der Verkündigung der Verlobung sie in die Irre geleitet hatte. Vielleicht war ihm Lisa gar nicht gleichgültig.
»Lisa ist verschwunden«, empfing Benjamin sie düster.
Sofie versuchte, sich den Anschein des Erstaunens zu geben. »Was heißt, sie ist verschwunden?«
»Sie hat das Haus letzte Nacht verlassen«, erklärte Benjamin. »Wir dachten, sie habe sich vorzeitig zurückgezogen, doch heute Morgen erschien sie nicht zum Frühstück. Gegen Mittag begann ich mir Sorgen zu machen und bat Suzanne, nach ihr zu sehen. Ihre Tür war verschlossen, sie gab keine Antwort. Schließlich fanden wir einen Schlüssel und öffneten. Das Zimmer war in völliger Unordnung, überall lagen Kleider herum! Der Schrank offen, die Schubladen herausgerissen! Und das Fenster war geöffnet! Im ersten Augenblick dachten wir, Lisa sei entführt worden!«
Sofie erschrak. Sie hatte nicht die Absicht gehabt, ihren Eltern einen solchen Schrecken einzujagen. Dann spürte sie die Augen des Marquis auf sich und errötete, hielt aber seinem bohrenden Blick stand. »Wer sollte Lisa denn entführen?« fragte unsicher. Hegte der Marquis einen Verdacht, dass sie bei Lisas Flucht mitgewirkt hatte?
Benjamin zog ein Blatt Papier aus der Tasche. »Gottlob wurde sie nicht entführt«, erklärte er.»Ich fand diese Notiz auf ihrem Nachttisch.«
Sofie atmete erleichtert auf. Lisa hatte die Nachricht wohl geschrieben, ehe Sofie sie beim Packen überraschte.
Nun meldete auch der Marquis sich zu Wort. Er sprach ruhig und gelassen. Sein zornfunkelnder Blick war auf Sofie gerichtet. »Sie schreibt, dass sie sich weigert, mich zu heiraten, und erst wieder nach Hause kommt, wenn die Verlobung offiziell gelöst ist und ich nach England abgereist bin.«
Sofie spürte, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht wich. Wie konnte Benjamin ihm diese verletzenden Zeilen zu lesen geben?
»Ich bestand darauf, dass Mr. Ralston mir den Brief zeigt«, fuhr er kühl und sachlich fort, als habe er Sofies Gedanken gelesen. In seiner Stimme schwang nun ein hämischer Unterton. »Mein Fräulein Braut scheint unter einem besorgniserregenden Anfall vorehelicher Hysterie zu leiden.« Seine Stimme war eisig, nicht aber das Glühen seiner Augen.
»Sicher handelt es sich nur um ein Missverständnis«, meinte Sofie hilflos.
St. Clares Mund verzog sich spöttisch. »Tatsächlich, Miss O'Neal?«
Sofie fröstelte.
»Das ist ganz und gar nicht Lisas Art«, widersprach Benjamin ungeduldig. »Es tut mir schrecklich leid - Lisas Verhalten ist unverzeihlich. Ich habe Verständnis, wenn Sie die Verlobung umgehend zu lösen wünschen. Aber ich versichere Ihnen, Julian, dass meine Tochter diesen unüberlegten Schritt sehr bedauern wird.«
Das Lächeln des Marquis ließ Sofie das Blut in den Adern gefrieren. »Ich wiederum versichere Ihnen, Benjamin, dass ich nicht die Absicht habe, mit der kleinen
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