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Jenseits Der Unschuld

Jenseits Der Unschuld

Titel: Jenseits Der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
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beiden standen einander wie Kampfhähne gegenüber Suzanne hart und entschlossen, Edward ohne jeden Ausdruck. Schließlich sagte er: »Wenn Ihnen wirklich daran hegen sollte, Sofie nicht zu verletzen, hören Sie auf, sie einen Krüppel zu nennen - und hören Sie auf, sie als solchen zu behandeln.«
    Suzanne rang nach Luft.
    Edward lächelte kalt und verneigte sich höflich. »Um Sie nicht weiter zu beunruhigen, Mrs. Ralston, werde ich umgehend abreisen.« Damit machte er auf dem Absatz kehrt und verließ das Zimmer.
    Edward wartete, bis die Kutsche vorfuhr, um ihn zum Bahnhof zu bringen. Er lehnte die Schulter gegen eine weiße Holzsäule der Veranda und rauchte. Die weiße Auffahrt aus zerstoßenem Muschelkies führte am Kutschenhaus, den Stallungen und den Unterkünften der Dienstboten vorbei bis zum hohen, schmiedeeisernen Tor, dessen Flügel offenstanden. Auf der Hauptstraße dahinter sah Edward mehrere Radfahrer vorbeifahren, ein halbes Dutzend Pferdekutschen und sogar ein schwarz glänzendes Automobil mit einem lachenden jungen Mann am Lenkrad in Staubmantel, Ledermütze und großer Schutzbrille. Auf der Rückbank saßen drei ebenso vermummte junge Damen, die teils vor Angst, teils vor Vergnügen kreischten.
    Edward lächelte, der Anblick des ratternden Automobils lenkte ihn kurzfristig von seinen Schuldgefühlen ab. Er hatte sich nicht, wie erhofft, von Sofie verabschieden können. Sie war nicht zum Frühstück erschienen und hatte sich auch nicht an den Zerstreuungen der Gäste am Vormittag beteiligt. Gestern hatte sie stark gehinkt, ihr Knöchel war geschwollen, deshalb war sie wohl nicht heruntergekommen.
    Er beruhigte sich mit dem Gedanken, dass es kein Malheur sei, wenn er ohne Abschied abreiste, da er beabsichtigte, sie in der Stadt aufzusuchen.
    Edward hatte den Entschluss gefasst, sich ihrer anzunehmen. Sofie brauchte einen Fürsprecher, einen Beschützer.
    Beim Gedanken an Suzanne Ralston krampfte sich sein Inneres zusammen. Es war nichts Ungewöhnliches an ihrem Wunsch, ihre Tochter vor Schaden zu bewahren. Edward wäre befremdet gewesen, wenn sie nicht eingegriffen hätte, als sie sein Interesse an Sofie bemerkte. Doch Suzanne Ralston zeigte in ihrer Entrüstung weit mehr als nur beschützenden Mutterinstinkt. Edward wusste nicht, ob ihr das Ausmaß ihrer Grausamkeit bewusst war, hoffte aber, dass hinter ihrer Strenge keine böse Absicht steckte. Aber wie konnte sie Sofie als Krüppel bezeichnen? War sie tatsächlich davon überzeugt? Steckte möglicherweise Eigennutz hinter ihrer Gefühlskälte?
    Wie konnte sie Sofies Entschluss gutheißen, unverheiratet zu bleiben? Wie absurd! Jede Mutter hatte den Wunsch, ihre Tochter mit einem guten, anständigen Mann zu verheiraten und versorgt zu wissen.
    Edward atmete tief durch. Unvermutet sah er sich ins südliche Afrika zurückversetzt. Vor ihm erstreckte sich die endlose Ebene, über der die Luft vor der sengenden Hitze flimmerte. Ein scharfer Gestank stieg ihm in die Nase -
    der Gestank nach verbranntem Fleisch von Tier und Mensch, verkohltem Holz und schwelendem Getreide.
    Die Briten hatten die Strategie der verbrannten Erde als erste angewandt, die von den Buren bedenkenlos übernommen worden war. Opfer dieser Unmenschlichkeit war die unschuldige Bevölkerung. Edward hatte zahllose verkohlte Leichen von Männern, Frauen und Kindern gesehen. In den Kriegswirren zählten Menschenleben nicht.
    Und er hatte Krüppel gesehen. Wirkliche Krüppel. Auf dem Schlachtfeld erblindete Soldaten; Männern, denen Arme oder Beine fehlten. Er hatte einen bedauernswerten Mann gesehen, dem Arme und Beine fehlten. Diesen grauenvollen Anblick würde Edward nie im Leben vergessen.
    Sofie war kein Krüppel. Edward dachte daran, wie sie sich in seinen Armen angefühlt hatte, in diesem flüchtigen Augenblick. Warm, weiblich, wunderbar. Er dachte an ihren hinkenden Gang. Sie war nicht perfekt, aber wer war schon vollkommen? Sie war jung, hübsch, sehr talentiert, scheu. Sie musste erst zum Leben erweckt werden.
    Sie lebte für ihre Kunst, und Edward spürte, dass es ihr sehr ernst damit war. Aber er ahnte auch, dass sie damit einen Weg gefunden zu haben glaubte, um das zu vermeiden, wovor sie Angst hatte, nämlich die Art der Ablehnung, deren entsetzter Zeuge er gestern abend im Salon geworden war. Wie oberflächlich und gedankenlos diese Menschen doch waren!
    Edward trug sich mit der Überlegung, Sofie von ihren Hemmungen zu befreien. War es nicht höchste Zeit für ihn, ein

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