Jenseits Der Unschuld
und natürlich auch Mary Cassatt. Von ihr habe ich im Augenblick nichts vorrätig, aber einen Eakins kann ich Ihnen zeigen. Venez, Monsieur, wenn ich bitten darf.«
Edward folgte dem nun beflissenen jungen Mann durch den Ausstellungsraum. Seine Enttäuschung wuchs, als er vor einem großformatigen Porträt stand, dessen Stil sich von Sofies Arbeiten nicht drastischer hätte unterscheiden können. Das Bild war penibel realistisch gemalt und in düsteren Farben gehalten. »Wie viel kostet dieses Bild?«
fragte er.
»Dafür werden wir wohl tausend Dollar erzielen, da Mr. Eakins einen guten Namen hat.«
»Ist er der einzige amerikanische Künstler, den Sie vertreten?«
»Gelegentlich verkaufen wir auch Werke anderer Künstler, meist amerikanischer Maler, die im Ausland leben, wie die Cassatt. Unser Schwerpunkt ist die französische Malerei des achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts.
Auch das Interesse an holländischen Meistern des siebzehnten Jahrhunderts ist ziemlich groß. Und seit kurzem besteht eine gewisse Nachfrage an Gemälden von Goya. «Auf Edwards fragende Miene erklärte der Galerist geduldig: »Ein spanischer Maler des ausgehenden achtzehnten bis frühen neunzehnten Jahrhunderts. Er wäre vermutlich bis heute unbekannt, wenn unsere größten Kunden Mr. Und Mrs. Havemeyer ihn nicht entdeckt und zahlreiche seiner Werke erworben hätten. «
»Kann ein Sammler das Interesse anderer Käufer an einem unbekannten Künstler wecken?« fragte Edward hoffnungsvoll.
»Wenn ein bedeutender Sammler mehrere Werke von einem bestimmten Maler kauft, steigt selbstverständlich der Wert dieser Bilder.«
Wenn Sofie erst einmal von dieser exklusiven Galerie angenommen war, würde sie rasch von einem Sammler entdeckt werden, daran hatte Edward keinen Zweifel. »Sie haben den Namen einer Amerikanerin erwähnt. Wer ist Mary Cassatt?«
»Sie ist eine große Malerin, berühmt für ihre Mutter-Kind Darstellungen. Sie wird fälschlicherweise den Impressionisten zugeordnet, doch in Wahrheit ist sie eine absolut eigenständige Künstlerin. Eine Amerikanerin, die seit vielen Jahren in Frankreich lebt. «
»Verkauft sie ihre Bilder gut?«
»Ja.« Der junge Mann lächelte nachsichtig. »Aber das war nicht immer so, Monsieur. Noch vor wenigen Jahren nagte sie am Hungertuch. Wie ihr erging es vielen, heute berühmten Künstlern.«
»Werden Sie sich Miß O'Neils Bilder ansehen?«
Der Mann zögerte. »Nun, ich schlage vor, Sie geben mir die Adresse des Ateliers der Künstlerin, und wenn es meine Zeit gestattet - allerdings erst nach der Rückkehr meines Vaters - werde ich bei ihr vorstellig werden.«
Edward wusste, dass der junge Durand-Ruel nicht die Absicht hatte, das zu tun. »Sie ist außergewöhnlich begabt«, sagte er leise.
Der junge Mann, der bereits im Begriff war sich abzuwenden, drehte sich noch einmal um und begegnete Edwards eindringlichem Blick.
»Es kostet Sie nichts, wenn Sie kommen, außer einer Stunde Ihrer den Gewinn Ihres Lebens«, fügte Edward beschwörend hinzu.
»Na schön. Wir haben Telefon. Ich gebe Ihnen unsere Nummer. Sprechen Sie mit der Künstlerin, und vereinbaren Sie einen Termin. Vormittags wäre mir angenehm.«
Edward lächelte, und die beiden Männer schüttelten einander die Hände. Nachdem Edward die Galerie verlassen hatte, warf er einen Blick auf seine Taschenuhr. In einer Stunde wurde er im Hause Ralston erwartet. Er hatte Sofie versprochen, für sie Modell zu sitzen.
Sofie zitterte vor Aufregung; sie konnte Edwards Ankunft kaum erwarten, um ihr. Bild zu beginnen. Seit Stunden war sie mit den Vorbereitungen fertig. Sie hatte einen weiß gedeckten, runden Tisch und einen Stuhl an das Fenster zum Garten gerückt. Eine Vase mit bunten Sommerblumen stand in der Mitte des Tisches, dazu edles weißes Porzellan mit Goldrand, funkelnde Kristallgläser und blitzendes Silberbesteck. Sie hatte vor, das Delmonico noch einige Male zu besuchen, um dort Detailstudien zu machen. Wenn das Bild einmal fertig war, sollten Tisch und Hintergrund authentisch wirken.
Sofie erschrak, als es klopfte. Mrs. Murdocks Kopf erschien in der Tür. »Miß Sofie, Sie haben Besuch«, strahlte sie.
Die Haushälterin und der Butler Jenson vermuteten in Edward einen Verehrer Sofies und waren ganz aus dem Häuschen vor Aufregung. Sofie hatte versucht, den Irrtum aufzuklären, doch die beiden beharrten darauf, Mr.
Delanza habe ein Auge auf sie geworfen, und Sofie hatte es aufgegeben, ihnen den Unsinn
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