Jenseits Der Unschuld
auszureden.
Ihr Herzschlag stockte. Sie erwartete Edward erst in einer Stunde; er war zu früh. War er etwa ähnlich aufgeregt wie sie über die gemeinsame Arbeit? Sofie strich sich eine widerspenstige Locke aus dem Gesicht und strahlte.
»Bitten Sie Mr. Delanza herein.«
»Es ist nicht Mr. Delanza. Ein anderer Herr macht Ihnen seine Aufwartung, Sofie.« Mrs. Murdock war offenbar entzückt. »Mr. Henry Marten. Er wartet im Grünen Salon«, fuhr die Haushälterin fort. »Ich hoffe, Sie sind nicht indisponiert«, fügte sie mit leisem Vorwurf hinzu.
Was will Henry Marten von mir? wunderte Sofie sich. »Nein, ich empfange ihn«, beruhigte Sofie Mrs. Murdock und folgte ihr in die vorderen Räume des Hauses. Was immer Henry bewog, sie zu besuchen, er wäre längst wieder fort, ehe Edward zur Sitzung kam, überlegte Sofie.
Henry Marten stand in der Mitte des Salons und wirkte irgendwie verloren. Sein dunkler Anzug saß schlecht, da er ihm ein wenig zu groß war. Bei Sofies Eintreten errötete er. »Hoffentlich komme ich nicht ungelegen«, sagte er.
»Aber nein«, lächelte Sofie. »Guten Tag, Mr. Marten. Wie geht es Ihnen?«
»Ausgezeichnet. Danke der Nachfrage.« Seine Gesichtsröte vertiefte sich. »Sie sehen sehr gut aus, Miß O'Neil.«
Sofie nickte und glaubte ihm kein Wort. Ihr Haar hatte sie wie immer beim Malen zu einem dicken Zopf im Nacken geflochten. Sie trug einen dunkelblauen, schlichten Rock und eine weiße Hemdbluse. Sie bedeutete dem Gast mit einer Handbewegung, sich zu setzen. »Ich habe Jenson gebeten, uns eine Erfrischung zu bringen«, sagte sie.
»Oh, vielen Dank.« Mr. Marten rutschte auf seinem Sessel hin und her. »Ich bin seit einigen Wochen wieder in der Stadt und wollte Ihnen längst meine Aufwartung machen. Aber ich habe ein paar neue Mandanten und stecke buchstäblich bis zum Hals in Arbeit.«
»Wie schön für Sie«, entgegnete Sofie aufrichtig erfreut und wunderte sich über sein Interesse an ihr. Machte er ihr etwa den Hof?
Henry Marten lächelte. »ja, da haben Sie recht. Andererseits hinderte mich die Arbeit, Sie zu sehen.«
Sofie blinzelte und setzte sich.
Henry war nun krebsrot geworden und hielt den Blick auf seine verschränkten Hände gesenkt.
Sofie war zu verdutzt, um höfliche Konversation machen zu können. Die beiden saßen einander stumm gegenüber, bis Jenson ein Silbertablett mit Kaffee und Gebäck brachte. Sofie stellte die Tassen bereit, goss Kaffee aus der Wedgewoodkanne ein, gab Sahne und Zucker dazu und reichte Henry Marten eine Tasse. »Wo liegt denn Ihr neues Büro?« fragte sie schließlich.
Henry gab beflissen Auskunft. »Nicht weit vom Union Square entfernt. Angenehme, ruhige Gegend.« Er hüstelte.
»Ich würde Ihnen die Räume gerne zeigen, wenn Sie einmal Zeit finden.«
Sofie sah ihn verwundert an, fasste sich jedoch schnell. »Aber gerne.«
Henry stellte die Tasse ab, ohne getrunken zu haben. »Eigentlich hoffte ich, Miß O'Neil, ehm ... dass ich Sie zu einer Spazierfahrt im Park einladen darf ... irgendwann einmal. «
Auch Sofie stellte die Tasse ab und sah ihn mit großen Augen an. Henry war ein netter Kerl, zugegeben, aber sie hatte keine Zeit für Spazierfahrten im Park, obgleich die Vorstellung nicht ohne Reiz war. Und dann begriff sie. Er machte ihr tatsächlich den Hof.
Henry nahm ihr Schweigen als die Antwort, auf die er gewartet hatte. »Vielleicht schon heute?«
Sofie fand ihre Stimme wieder. »Mr. Marten, ich würde selbstverständlich gerne mit Ihnen im Park spazieren fahren.« Sie brachte es nicht übers Herz, ihm eine Absage zu erteilen. Gleichzeitig schwebte ihr ein Fantasiebild vor. Sie sah sich durch den Park schlendern, lachend, schön und unbeschwert, am Arm eines Verehrers. Und der Verehrer ihrer Fantasie hatte eine verdächtige Ähnlichkeit mit Edward Delanza.
Sofie schob diesen unsinnigen Gedanken beiseite. »Leider ist es heute unmöglich. Ich erwarte Mr. Delanza.«
Henry erschrak; der Unterkiefer fiel ihm herab, und wieder errötete er bis unter die Haarwurzeln.
Sofie bereute ihre Unbedachtheit. Henry glaubte, Edward mache ihr den Hof. Sie spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg. »Bitte, missverstehen Sie mich nicht. Mr. Delanza ist kein Verehrer. Er hat lediglich zugestimmt, nur Modell zu sitzen.«
»Er will Ihnen Modell sitzen?«
»Ich bin Malerin, erinnern Sie sich?«
»Ja, natürlich. Das hätte ich ehm ... beinahe vergessen.« Wieder breitete sich ein peinliches Schweigen aus.
Wenige Sekunden später
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