Jenseits Der Unschuld
Erinnerung zu rufen, aus welchen Gründen sie vom ersten Tag ihrer Ehe so wütend auf Jake gewesen war.
Dieser Zorn und das Gefühl, von ihm vernachlässigt zu werden, hatten sie zu ehelichen Verfehlungen verleitet, und seine Gleichgültigkeit hatte sie in ihrer Treulosigkeit nur aus schweifender gemacht. Wenn sie damals nur einen Funken Verstand besessen hätte.
Andererseits zweifelte Suzanne daran, ob ihre Beziehung anders verlaufen wäre, wenn sie weniger zügellos und flatterhaft gewesen wäre. Ihre Verbindung war von der ersten Sekunde an stürmisch und unausgeglichen, gelegentlich auch gewalttätig verlaufen. Jake war ebenso hochmütig und stolz wie sie. Doch nach jedem hässlichen, lautstarken Streit hatte es eine wunderbare, süße Versöhnung gegeben.
Suzanne wollte nicht daran erinnert werden, nicht an die guten Zeiten und nicht an die schlechten. Sie lag neben ihrem zweiten Ehemann, starrte ins Leere und weinte um die verlorene Vergangenheit.
Sie wischte sich die Tränen fort. Sie durfte nicht zulassen, dass Sofie ein ähnliches Schicksal drohte. Eine Tochter musste aus den Fehlern der Mutter Nutzen ziehen. Suzanne war ihr Dasein als Mutter nicht leichtgefallen wie anderen Frauen. Doch als Jake ins Gefängnis kam, hatte sie sich zur fürsorglichen Mutter entwickelt. Im Lauf der Jahre hatte sie erkannt, wie sehr sie ihre Tochter liebte. Sie liebte Sofie mehr als irgendetwas auf der ganzen Welt, abgesehen vielleicht von Jake. Seit Sofies Unfall -seit Jakes Tod - hatte sie das Kind vor den Unbilden des Lebens zu bewahren versucht. Sie durfte ihre Beschützerrolle nicht aufgeben, nicht jetzt, da sie wichtiger geworden war als je zuvor.
Suzanne nahm sich vor, Benjamins Rat ausnahmsweise nicht zu befolgen. Diesmal wollte sie sich persönlich davon überzeugen, ob in New York alles so war, wie es sein sollte.
Kapitel 12
Sofie hatte ihn an die größte Galerie der Stadt verwiesen, die vor wenigen Monaten neue Geschäftsräume an der 36. Straße, Ecke Fifth Avenue bezogen hatte. Edward blieb vor der Galerie von Durand-Ruel stehen, einem der berühmtesten Kunsthändler der Welt mit Niederlassungen in New York, Paris und London, zu dessen Klientel angesehene Kunstsammler zählten.
Edward hatte erfahren, dass Durand-Ruel in den letzten Jahren Impressionisten erworben und verkauft hatte, darunter mehrere Werke von Claude Monet und Degas, allerdings meist auf Anfrage seiner Kunden. Edward war kein Kunstkenner, hatte sich jedoch in den letzten beiden Tagen einiges Wissen angeeignet und mehrere Galerien und Museen besucht. Sein bislang ungeschultes Auge vermochte nach eingehendem Kunstgenuss zu beurteilen, dass Sofies Malstil sich an französische Impressionisten anlehnte, die sie bewunderte, ohne sie zu kopieren. Sie hatte ihren einzigartigen und unverwechselbaren Stil gefunden.
Über dem Säulenportal wehte die französische Trikolore. Edward betrat einen großen, lichten Ausstellungsraum, dessen graublaue Wände dicht mit Bildern behängt waren. In freistehenden Glasvitrinen waren Kunstgegenstände ausgestellt. Auf Sockeln standen Skulpturen und Büsten. Edward blieb bewundernd vor einer Bronzestatuette, die eine nackte Frauenfigur darstellte, stehen. Auf einem kleinen Messingschild war der Name des Künstlers eingraviert: Auguste Rodin.
»Was kann ich für Sie tun, Sir?«
Edward drehte sich zu einem jungen Mann im dunkelgrauen Anzug um. »Mr. Durand-Ruel?«
Der junge Mann lächelte. »Monsieur Durand-Ruel ist verreist. Er bemüht sich gerade, Manets La Buveuse d'Absinthe zu ersteigern.« Dabei sah er Edward bedeutungsvoll an, als erwarte er einen Aufschrei des Entzückens, begegnete aber nur seinem verbindlichen Lächeln. »Nun ja, vielleicht kann ich Ihnen helfen, ich bin sein Sohn«, fuhr der Junior ernüchtert fort.
»Ja, vielleicht. Monsieur, ich bin kein Käufer. Ich bin auch kein großer Kunstexperte. Aber ich erkenne eine ungewöhnliche Begabung, wenn ich sie sehe. Und eben diese sollten Sie kennenlernen.«
Das Lächeln des Juniors gefror. »Tatsächlich? Und wer ist der Künstler? Vielleicht kenne. ich ihn. «
»Der Künstler ist eine Dame. Ihr Name ist Sofie O'Neil.«
Die Brauen des Galeristen zogen sich hoch. »Eine Frau? Irin?«
»Sie ist Amerikanerin.«
»Das ist kein großer Unterschied. Unsere Kunden bevorzugen französische Maler, was Ihnen bekannt sein dürfte.«
»Bieten Sie keine Bilder amerikanischer Maler an?« fragte Edward erstaunt.
»Thomas Eakins verkauft sich ganz passabel
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