Jenseits Der Unschuld
führte der Butler Edward in den Salon. Er kam tatsächlich zu früh. Sofie sprang auf und strahlte. Auch er lächelte, und sein Blick umfasste liebevoll ihre Gestalt.
»Guten Morgen, Sofie«, grüßte er vertraulich. Sein Blick wanderte zu Henry, dessen Lächeln wie angeklebt war.
»Guten Tag, Henry. Störe ich?«
Auch Henry war aufgestanden. »Nein, nein. Allem Anschein nach bin ich es, der stört.«
»Keineswegs, wo denken Sie hin?« wehrte Edward ab, trat auf ihn zu und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. Sein Blick wanderte zum Tablett mit den unberührten Tassen und dem Gebäck. »Trinken Sie bitte Ihren Kaffee, ehe er kalt wird.«
Henry nahm zögernd wieder Platz. Sofie wandte sich an Edward. »Trinken Sie eine Tasse mit?« fragte sie lächelnd und spürte Henrys Blick auf sich - und ahnte, welche Schlüsse er aus dieser Begegnung zog.
»Ja gern«, antwortete Edward.
Als auch Edward sich gesetzt hatte, trat erneut Schweigen ein. Edward studierte zunächst Henry, der einen Schluck Kaffee trank, dann Sofie, die seine Neugier spürte. Ob er sich fragte, wieso Henry ihr seine Aufwartung machte?
Endlich brach Edward das Schweigen. »Was führt Sie in diese Gegend?« fragte er Henry.
»Ich wollte Miß O'Neil schon vor Wochen einen Besuch abstatten, doch meine Kanzlei lässt mir momentan keine freie Minute. Ich dachte, ich könnte sie zu einer Spazierfahrt im Central Park verlocken, doch wie sich herausstellte, erwartete sie Ihren Besuch.«
Edward schwieg zunächst, dann lächelte er, und seine Zähne blitzten unverschämt weiß. »Nun vielleicht hat sie morgen für Sie Zeit, Henry?«
Sofies Rücken versteifte sich.
Henrys Brauen zogen sich zusammen. Er sah Edward skeptisch an, dessen lächelnder Blick nun beinahe väterlich gütig auf ihm ruhte. Dann wandte Henry sich eifrig an Sofie. »Haben Sie morgen Zeit für mich, Miß O'Neil?«
»Ich ... ehm ... « Sofie wusste nicht, was sie antworten sollte. Edwards Einmischung kam ihr keineswegs gelegen.
Morgen hatte sie Unterricht, und hinterher wollte sie an Edwards Bild malen. »Ich hatte eigentlich vor, morgen zu arbeiten«, sagte sie schließlich ausweichend.
»Eine Stunde können Sie sich doch für Henry freimachen«, ermunterte Edward sie ungefragt.
Sofie blickte starr in ihre Kaffeetasse. Henry wartete bang auf ihre Antwort. »Vielleicht später ... gegen vier Uhr?«
meinte sie schließlich und lächelte.
»Ausgezeichnet«, rief Henry beglückt.
Sofie blickte von Henry zu Edward, um dessen Mundwinkel ein seltsam zufriedener Zug spielte, und sie begann zu begreifen. Ein unmerkliches Zittern durchlief sie.
Er hatte sie soeben einem anderen Mann aufgehalst. Obwohl sie wusste, dass er nie ernste Absichten gehabt hatte, schmerzte diese Erkenntnis sie tief. »Ich bringe Neuigkeiten, Sofie«, sagte Edward nun leise.
Sie streifte ihn mit einem kühlen Blick.
»Jacques Durand-Ruel will sich Ihre Bilder ansehen. Er könnte sich vormittags Zeit zu einer Besichtigung nehmen.
Wäre es Ihnen recht, wenn er schon morgen vorbeikäme?«
Angst krallte sich um Sofies Herz und verdrängte den Schmerz ihrer Demütigung. Das Sprechen fiel ihr schwer.
Für den Besuch des Galeristen würde sie natürlich den Unterricht ausfallen lassen. »Ja«, hauchte sie.
Edward nickte zufrieden und wandte sich an Henry. »Ein international angesehener Kunsthändler interessiert sich für Sofies Arbeiten. Wenn er ihre Bilder ausstellt, ist das ein großer Sprung in ihrer Karriere.«
»Verstehe«, murmelte Henry, der sichtlich unter Schock stand.
Nun meldete Sofie sich zu Wort, die genau wusste, was sie sagen wollte. »Eines Tages werde ich berühmt sein und vom Verkauf meiner Bilder leben.« Edward schoss finstere Blicke in ihre Richtung, die sie wohlweislich ignorierte.
Wenn Henry tatsächlich die Absicht haben sollte, ihr den Hof zu machen, würden ihre exzentrischen Pläne ihn rasch in die Flucht schlagen. »Selbstverständlich werde ich nach Paris gehen und mich ausschließlich in Künstlerkreisen bewegen.«
Henry war sprachlos.
Edward funkelte sie wütend an. Er hatte ihr Spiel durchschaut. »Aber doch nur, wenn Sie nicht vorher ein forscher junger Mann zum Traualter führt, nehme ich an.«
Sofies Wangen glühten, doch ihr Herz blutete. Und dieser Mann wirst nicht du sein, Edward, dachte sie. »Ich denke nicht, dass diese Gefahr besteht, Mr. Delanza.«
Edward zog eine Braue hoch, seine Miene war ebenso undurchdringlich wie die ihre. »Ich fürchte, ich
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