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Jenseits der Untiefen

Jenseits der Untiefen

Titel: Jenseits der Untiefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Favel Parrett
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lang, vielleicht hatten nur wenige Tage gefehlt, bis es zur Welt gekommen wäre. Es hätte überleben können, wenn Jeff von ihm abgelassen hätte, wenn er es über das Heck hätte hinuntergleiten lassen. Es hatte es bis hierher geschafft, hatte gegen seine Geschwister gekämpft, sie getötet und sich von ihnen ernährt. Es hatte abgewartet. Es wäre kräftig zur Welt gekommen, jagdbereit, kampfbereit.
    Miles spürte den Motor durch seine Stiefel. Sie fuhren wieder, aber Jeff war noch immer mit seiner Beute beschäftigt, er war dabei, sie zu enthaupten. Er hakte den Kopf an die Ankerwinde und zog ihn langsam nach oben. Das verzerrte, blutige Ding richtete sich auf, die Schusswunden deutlich sichtbar; alle drei im Kopf, die letzte direkt zwischen den Augen. Mit einer Metallstange schob Jeff den Rest des zerhackten Kadavers nach hinten übers Heck weg, wo er eine Spur von Blut und Fleisch im Wasser hinterließ, Fraß für die Vögel.
    Jemand schlug ihm auf den Rücken, und als Miles sich umdrehte, sah er, dass Dad ihn mit rotem Gesicht anschrie und auf Martin zeigte, der an der Kajütenwand zusammengesackt war. Miles hielt noch immer das Fischbaby im Arm, und Dad nahm es ihm weg und warf es über Bord. Dann schlug er Miles fest ins Gesicht.
    »Ich hör nichts«, brachte Miles heraus oder schrie es, aber Dad schob ihn in die Kajüte und ließ ihn das Steuerruder übernehmen.
    Martin sah schlecht aus. Die Farbe seiner Haut, der Schweiß im Gesicht. So leicht hatte der Hai nach seinem Bein geschnappt. Doch jetzt war es geschwollen und so seltsam verrenkt, dass es aussah, als gehörte es unterhalb des Knies nicht mehr zum Körper. Miles dachte, dass auch ein paar von Martins Rippen gebrochen sein könnten, so flach und schnell, wie er atmete. Aber das konnte auch an den Schmerzen liegen. Es würde mindestens zwanzig Minuten dauern, bis sie in Dover waren, und dann noch einmal dreißig bis zum Krankenhaus in Huonville. Miles betete, dass die Schmerztabletten schnell wirkten und dass er wieder hören konnte.
     
    Er sprang auf die Ladefläche des Lieferwagens und setzte sich neben Martin, der halb aufgerichtet in der Ecke lag. Dad hatte ihn vorsichtig in Decken gehüllt und ihm auf die Schulter geklopft, bevor er sich hinters Lenkrad setzte. Miles kam es so vor, als ob Dad Martin wirklich gernhatte. Es gab etwas zwischen ihnen, das weit zurücklag.
    Der Lieferwagen sprang an. Miles’ Gehör kam wellenartig zurück. Er sah Jeff über die Straße zum Pub gehen und war froh, dass er nicht mit ins Krankenhaus kam. Martin schwitzte immer noch, er war blass.
    »Dauert nicht mehr lange«, sagte Miles, nach wie vor unsicher über die Lautstärke seiner Stimme.
    Martin versuchte zu lächeln und deutete Miles an, näher zu kommen. Miles achtete darauf, beim Heranrücken nicht an Martins Bein zu stoßen.
    »Dein Dad wird dich brauchen«, sagte Martin.
    Und auf einmal wusste Miles, was dieses kaputte Bein bedeutete. Er würde im nächsten Halbjahr nicht zur Schule gehen. Er würde draußen auf diesem Boot sein, zusammen mit Dad und Jeff, bis Martin zurückkehrte. Er würde jeden Tag nach da draußen verbannt sein.
    »Hüte dich vor Jeff. Ich habe versucht, es deinem Dad zu sagen, aber …«
    Martin verstummte. Er lehnte seinen Kopf an die Wand der Fahrerkabine.
    Miles lehnte sich ebenfalls zurück und beobachtete die weiße Mittellinie der Straße, die sich unter der Ladefläche hervorschlängelte. Er sah, wie sich alles weiter und weiter entfernte – die Fischerboote und Dover, der Rauch aus der Fischfabrik. Er sah ihnen nach, bis sie aus dem Blickfeld verschwunden waren und nichts übrig blieb als die Straße, das Gras und der versumpfte Huon, der langsam dahinfloss.
     
    Während die Pfleger Martin aus dem Lieferwagen hoben, führte eine ältere Krankenschwester Miles den Flur entlang in ein kleines Büro. Sie drückte ihn auf einen niedrigen Bürostuhl, der vor einer Elektroheizung stand, und sagte, sie wäre gleich zurück. Miles sah sie den Gang hinunterwatscheln und verschwinden.
    Das Krankenhaus von Huonville war klein und aus den gleichen gelben Ziegelsteinen und großen stahlumrahmten Fenstern wie Dover High, mit dem Unterschied, dass das Krankenhaus nur einstöckig war; ein rechteckiger Flachbau mit Parkplatz. Miles war kurz nach der Eröffnung hier gewesen, als es noch nach Farbe und Linoleum gerochen hatte. Und er hatte es als Glück empfunden, dass es ein Krankenhaus in der Nähe gab – wo Großvater so krank war. Es

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