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Jenseits der Untiefen

Jenseits der Untiefen

Titel: Jenseits der Untiefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Favel Parrett
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es, er spürte das Wasser.
    Er klemmte sich das Surfbrett unter den Arm und rannte den Strand entlang. Seine Füße berührten den Sand. Die Sonne stand hoch und wurde als grelles, blendendes Weiß vom Wasser zurückgeworfen, und weit draußen sah er die Silhouette eines Jungen, der in Bewegung war – abhob, die Arme ausgebreitet wie ein Adler. Und noch bevor Miles zu ihm hinausgepaddelt war, noch bevor er das Gesicht sehen konnte, wusste er, dass es Justin Roberts war. Unverkennbar. Justin mit seinem großen Mund und den großen Zähnen war dort draußen und sagte: Gib mir noch so eine. Gib mir noch eine, und ich zeig’s dir.
    Miles ließ sich von der Strömung tragen, die parallel zur Steilküste verlief. Er genoss es, wie seine Hände das kalte Wasser durchpflügten, die Schwerelosigkeit seines Körpers. Und dieses Gefühl kehrte in ihn zurück, das Gefühl, wie es gewesen war, als das alles nur Spaß gemacht hatte, das Wasser. Er und Justin den ganzen Sommer draußen im Weißwasser – draußen, bis es dunkel wurde. Wie sie auf den Wellen ans Ufer ritten, den Saft aus ihnen herausritten und wünschten, die Sonne würde mit dem Untergehen noch warten, nur ein bisschen noch. Nur eine noch. Gib mir nur noch eine.
    Mum hatte wartend im Wagen gesessen und gehupt.
    »Na los, ihr zwei – Zeit, aufzubrechen. Zeit zum Trockenlegen. Es wird dunkel!«
    Und sie sprangen ins Auto, wo die Heizung lief, und waren völlig ausgelaugt. Auf einmal hatten sie einen Riesenhunger. Sie brachten Justin nach Hause. Sie setzten ihn vor dem Steinhaus hinter der Steilküste ab.
    »Bis morgen!«
    »Morgen erwischen wir ein paar richtig gute.«
     
    Justin winkte, er sah ihm direkt in die Augen, ohne Angst.
    »Ziemlich lange Pausen zwischen den Sets, aber ich dachte, was soll’s. Wird heute nicht mehr besser«, sagte er.
    Und das war’s. Alles wie immer. Übers Wasser reden – über die Wellen reden.
    Miles sah, wie Justins Surfbrett schimmerte. Keine Dellen, kein Wachs, das von Schmutz und Sand braun geworden war. Nichts als saubere, weiße Oberfläche, funkelnagelneu.
    »Hat mir Dad geschenkt. Probier es aus, wenn du willst.«
    Miles zögerte keine Sekunde. Er tastete nach der Leash und löste sie. Ein neues Brett, leicht und schnell, und Miles setzte sich aufrecht und ließ die erste Welle unter ihm durchrollen. Er streckte die Arme zum Himmel, als er über ihren Kamm glitt.
     
    Gott. Weißt du noch, Justin? Als wir das erste Mal zum Riff gekommen sind? Als wir es das erste Mal hier rausgeschafft hatten? Wir haben es einfach beschlossen, wir haben uns die Wellen angesehen und gesagt: Los – lass uns rauspaddeln. Mit Herzklopfen. Und wie wir gesagt haben: Ja! Los, komm! Es wird Zeit! Wie wir immer wieder unter den Wellen durchgetaucht sind, bis wir zitterten. Und dann das viele tiefe Wasser vor uns, all das dunkle Wasser. Wir hatten Angst. Und wie wir das Riff gesehen haben, als die Flut zurückging. Wir haben an genau diesem Ort gesessen. So wie jetzt.
    Direkt hier.
    Weißt du noch?
    Wann habe ich das vergessen?
     
    Miles und Justin kämpften um die nächste Welle, aber Miles war schon mittedrin, das Brett schnell und locker unter seinen Füßen, und alles war richtig.
    Es fühlte sich gut an. So, wie es sollte.
    »Du kannst mir mein Brett jetzt wiedergeben!«, schrie Justin hinter ihm, aber Miles war nicht bereit, es herzugeben. Noch nicht. Er wollte noch einmal rauspaddeln. Nur einmal noch.
    »Das mit deinem Bruder tut mir leid«, sagte Justin, bevor sie sich trennten, bevor er nach Hause ging. Und Miles wollte sich verabschieden. Er wollte sich bei Justin bedanken, für alles. Aber er sagte nichts. Er stand da und sah ihm hinterher und winkte, während Justin über den Strand wegging, und seine nassen Füße steckten in Turnschuhen.
    Und da spürte er sie, er spürte Mum und Harry. Sie waren direkt hinter ihm, sie warteten im Wagen – Harry saß grinsend auf dem Beifahrersitz. Er sagte, Miles solle sich beeilen. Er sagte, sie würden Fish-and-Chips kaufen.
    Und er wollte, dass sie noch ein bisschen länger bei ihm blieben. Er wollte, dass sie blieben.
    Miles hörte eine Hupe und drehte sich um.
    Es war Joe.
    Joe wartete auf ihn.

M anchmal, wenn der Dunst morgens in den Bäumen hing und der Nebel den Boden bedeckte und in dichten Schwaden auf dem Wasser lag, kündigte sich das Winterlicht an.
    Miles liebte dieses Licht.
    Es ließ das dunkle Wasser glitzern, verwandelte die weiße Gischt zu Gold – machte aus dem Meer einen

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