Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
verdienen.
Es war gekommen, wie sie es vorhergesagt hatte. Er hatte eine Frau. Die musste er versorgen. Das wurde von ihm erwartet – nicht zuletzt von ihm selbst. Sein Leben lang war Pflichterfüllung ihm immer die höchste Motivation gewesen. Also tat er seine Pflicht, jetzt wie damals als Soldat.
Er hätte nie Soldat werden sollen, dachte Charlotte manchmal. Er war ein viel besserer Ingenieur. Doch obgleich sein Verstand die vielschichtigsten Probleme meisterte, litt er dennoch darunter, keinen Universitätsabschluss vorweisen zu können, der ihm einiges an Anerkennung eingebracht hätte. Er hatte zwar einige Zeit Physik und Ingenieurswesen studiert, hatte dann aber die Offizierslaufbahn eingeschlagen, als seine Familie eine finanziell schwierige Phase durchlebte. Pflichtbewusst wie immer.
Natürlich hätte sie ihn gar nicht getroffen, wenn er nicht Offizier gewesen und als solcher in geheimer Mission losgeschickt worden wäre. Er hatte auch da wieder seine Pflicht getan, obgleich man objektiv gesehen zugeben musste, dass er kein natürliches Talent zum Geheimagenten aufwies. Er mochte keine Unwahrheiten. Er war generell zu ehrlich und geradeaus auf der einen Seite und zu besorgt und wohlerzogen auf der anderen, um besonders gut abzuschneiden bei einer Aufgabe, zu der primär eine zielgerichtete Rücksichtslosigkeit gehörte. Ebenso wie die Bereitschaft, einem schmalen Grat an Prioritäten zu folgen und alles andere – und das schloss Menschen mit ein – nicht zu beachten oder der Sache zu opfern, ohne weiter darüber nachzudenken. Dazu kam, dass er einfach ein schrecklich schlechter Lügner war.
Er hatte seine Pflicht verletzt, um sie zu retten. Es war ihm unmöglich gewesen zuzusehen, wie eine Frau, die nichts mit der Angelegenheit zu tun hatte, zu Schaden, ja zu Tode kam, wenn er ihre Situation ignorierte.
Wirklich, er hätte niemals Soldat werden sollen. Dann könnte er heute noch ohne Krücken laufen. Er könnte ein Leben ohne immerwährende Schmerzen führen. Er könnte seine Frau lieben und Kinder zeugen.
Charlotte holte tief Luft. Besser nicht daran denken. Am Morgen war er guter Laune gewesen, hatte sich auf eine weitere Soiree bei Professor Lybratte mit gelehrten Herren und vermutlich auch der gebildeten, schönen Frau Lybratte gefreut, die, wie er Charly erzählt hatte, Mitte zwanzig war und einen beinahe vierzig Jahre älteren Mann geheiratet hatte. Blond war sie und hatte blassgrüne Augen, perfekte Gesichtszüge und eine perfekte Figur. Sie bewegte sich anmutig und hielt die Fäden all dieser schwierigen und allzu talentierten Männer zusammen wie eine gewiefte Puppenspielerin. Asko bewunderte sie dafür. Charly hätte nicht danach fragen sollen. Doch sie hatte gefragt, und was immer man von ihrem Gatten behaupten mochte, er war nun einmal grundehrlich.
Charly selbst war nicht hübsch. Ihr Haar war dunkel und widerspenstig, ihre Augen braun, ihre Züge unspektakulär. Sie war zu groß, und seit sie ihre Heimat in den österreichischen Alpen verlassen hatte, wo sie viel spazieren gegangen oder ausgeritten war, war sie auch ein bisschen rundlicher geworden. Sie sollte sich wirklich alle weiteren Süßigkeiten versagen, und natürlich sollte sie sich mehr bewegen. Doch man konnte mit Asko weder spazieren gehen, noch reiten, und allein wollte sie diese Dinge nicht tun. Die Führung des Haushalts und der Buchhaltung sowie Planung und Materialbestellung für die Werkstatt waren sitzende Tätigkeiten, die einen beschäftigt hielten, aber nicht in Form.
Die Materialbestellungsliste hatte sie gerade vor sich liegen. Sie hatte in seine Arbeit involviert werden wollen, und das war sie auch. Er erklärte ihr seine Ideen und hörte sich ihre Meinung dazu an. Partnerin hatte sie sein wollen, und Partnerin war sie. Eine Geschäftspartnerin, die mit ihm im selben Zimmer schlief – um irgendwelchem Gerede vorzubeugen.
Sie biss sich auf die Lippen. Sie sollte endlich das Material bestellen. Sophie würde jeden Augenblick herunterkommen. Sie war am vorigen Abend nervös und besorgt zurückgekehrt. Charly und sie hatten allerdings nicht miteinander darüber gesprochen, denn Asko hatte mit ihnen diniert, und man konnte nicht über Sophies private Probleme reden, solange Asko dabei war. Zum einen hielt man Herren gemeinhin am besten aus Frauengesprächen heraus, zum anderen war Asko zudem ein wenig steif und überkorrekt und manchen Dingen gegenüber völlig verständnislos. Charlotte war sich sicher, dass
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