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Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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nicht einer gewissen Ästhetik, und er wünschte sich, er könne sie malen, sehnte sich danach, sie festzuhalten. Er wusste nun, wie er Lärm hätte malen können, ebenso wie Stille oder Leben oder Tod. Lord Edmond hätte viel Geld dafür bezahlen können, wenn er es je gesehen hätte.
    Thorolfs inneres Ich stand vor der Staffelei und hielt den Pinsel. Ein letztes Bild. Das Mädchen? Oder Catty, die Katze? Oder eine Landschaft aus grauem Boden und rotem, zerklüfteten Fels?
    Ein Spalt im Stein seines Schädels. Er setzte den Pinsel an die Leinwand und malte die Szene mit schmerzhafter Genauigkeit. Dies war entsetzlich, die Welt hämmerte und pulsierte um ihn herum. Doch er konnte es bewerkstelligen und besah sich schließlich sein Werk und die Ähnlichkeit seines Bildes zu dem, was – wie er wohl wusste – nicht mehr war als eine Vision. Er malte Schmerz, und während er Schmerz malte, verstand er, dass es an ihm war, stattdessen Frieden zu malen.
    So ging er nochmals über das Bild, fügte Sonnenschein hinzu, gab der Landschaft einen Hintergrund, verschönerte den Boden mit Ranken und Blumen, schloss den Spalt, ließ Blut zu frischem Tau werden, entdeckte ein ängstliches Mädchengesicht, das zwischen den Zweigen eines Rosenstrauchs hervorlugte. Um sie hätte er sich kümmern müssen, doch er hatte versagt.
    „Catty …“, murmelte er, als der strahlende Sonnenschein ihn zu blenden begann. Er sank auf der Blumenwiese nieder und in das satte Grün, als wäre es ein Bett voller weicher Kissen. „… in guten und in schlechten Tagen, bis dass der Tod …“
    Jemand wusch ihm sein Gesicht behutsam mit einem nassen Lappen ab.
    „Die haben mir gesagt, du wärst so gut wie tot“, sagte eine Stimme, die er als weiblich und alt identifizierte, wenngleich sie auch ein wenig hart und garstig klang. „Oder sogar schon längst gestorben.“ Sie schniefte, und eine knochige Hand schob sachte sein Haar beiseite, dort, wo sein Kopf verwundet war. „Du siehst nicht tot aus, Bub.“
    Er versuchte, die Augen zu öffnen und fand es schwierig. Es war so unendlich gleißend hell außerhalb seines Kopfes. Er verdurstete fast. Er brauchte etwas zu trinken.
    „Wasser … bitte … gnädige Frau …“
    Ein Gekicher erschallte direkt neben seinem Ohr.
    „Was bist du höflich! Am besten drehen wir dich einmal um“, sagte die Stimme und zog ihm die Arme lang.
    Er drehte sich, sie half ihm kaum dabei. Schließlich gelang es ihm, die Augen zu öffnen.
    Die Frau war alt. Sie hatte ein faltiges, strenges Gesicht und kritische Augen und musterte ihn mit unverhohlener Neugier.
    „So …“, brummte sie. „Du bist also der Unhold, der junge Frauen aufschlitzt.“
    „Das war ich nicht“, sagte er ganz automatisch, obgleich er wusste, dass der Protest vergeblich war. Es war die Antwort, die jeder feige Mörder geben würde. „Wirklich nicht.“ Er musste es einfach sagen, konnte die Wahrheit nicht für sich behalten, einerlei wie es klingen mochte. Er hatte nun eine Zuhörerin, auch wenn die Ausweglosigkeit seiner Situation ihm keine neue Hoffnung bescheren konnte.
    „Wer dann?“
    „Das Spinnenwesen. Eine Riesenspinne. Ich weiß, das klingt … aber da war wirklich eine.“
    Sie nickte.
    „Das hast du geträumt. Alle haben davon geträumt.“
    Er begriff nicht.
    „Ich habe nicht geträumt. Zweimal bin ich dem Wesen begegnet. Das erste Mal konnte ich … sein Opfer retten.“
    „Dann bist du also ein großer Held?“ Die alte Stimme war mehr als spöttisch.
    „Nein. Nur ein Ehrenmann. Außerdem dumm. Offensichtlich dumm. Zu dumm. Konnte das verdammte Vieh nicht besiegen. Dumm.“
    „Allerdings.“ Sie fuhr ihm mit den Fingern durchs Haar und drückte mal dort, mal hier gegen seinen Kopf. Dann fühlte sie seinen Puls. „Dumm und unvorsichtig. Aber auf dem Wege der Besserung.“
    „Der Besserung?“
    „Du liegst nicht mehr im Sterben.“
    „Nicht?“
    „Nein. Du bist um einiges gesünder als mancher, den ich kenne. Du lebst. Die Frau, die du angegriffen haben sollst, lebt nicht mehr.“
    „Ich habe sie nicht angegriffen!“
    Sie sagte nichts, wühlte nur in ihrer Tasche und zog daraus eine Silberkette mit einem schweren Ebenholzanhänger hervor, an den ein paar Kräuter gebunden waren. Sie hielt das eigenartige Schmuckstück über ihn, und es schwang hin und her, beschrieb eine Kreisbahn, die sich ganz leicht, kaum merklich von ihm fortneigte.
    „Ich habe die Frau nicht angegriffen!“, sagte er wieder. „Großer Gott. Ich

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