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Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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mit Reue und schließlich mit Schock. Er hätte sie küssen sollen – wenigstens einmal.
    Hätte er sie geküsst, er wäre nicht leichter gestorben, doch ihr plötzliches Auftauchen hätte ein wenig mehr Sinn ergeben. Anstatt ihr Angst einzujagen und ihr Schamgefühl zu missachten, hätte er sie besser in die Arme nehmen sollen. So viele Mädchen hatte er in den Armen gehalten. Seine Freunde in Wien hatten ihn immer darum beneidet, sahen sie doch, wie leicht ihm seine Eroberungen zufielen, fast schon zu leicht. Er hatte nie damit geprahlt. Dennoch hatte sein Ruf als Don Juan ihn eingeholt.
    Diese junge Frau war anders. Er hatte die Vision von ihr nie für erotische Träumereien missbraucht. Die Frauen, mit denen er die Nächte verbrachte, waren willig und meist etwas älter als er, nicht so unerfahren. Nicht so zart und zerbrechlich, nicht so hilfsbedürftig.
    Sie war nur ein Mädchen, schüchtern, ängstlich und sehr jung. Fast konnte er ihre Unerfahrenheit wie einen nebulösen Schleier fühlen, der sie umgab und bedeckte. Das war freilich unsinnig. Welcher Mann konnte schon mit solch genauer Wahrnehmung fühlen?
    Doch war er ein Mann? Er war doch nicht einmal ein Mensch. Das Gesicht seines unheimlichen Vaters erschien vor seinem geistigen Auge und vertrieb die Vision des kupferhaarigen Mädchens mit den Topasaugen. „Du bist, was du bist“, schien es zu sagen. Panik überkam ihn, als er plötzlich daran dachte, dass all seine religiöse Unterweisung ihn nur deshalb für ein Leben nach dem Tode vorsah, weil er ein Christenmensch war. Wie war das mit den Fey? Kamen die automatisch in die Hölle?
    Er war der Sohn eines Vampirs. Kam er für Vergebung und ewiges Leben überhaupt in Frage? Diesseits oder Jenseits? Sein Vater war viel älter, als er aussah. Wie alt? Lebte er ewig im Diesseits?
    Was war mit ihm? Er war zum Mann herangewachsen, ohne je zu argwöhnen, dass ihn etwas von anderen Menschen unterschied. Er war nicht langsamer gewachsen oder gealtert als andere. Er sah nicht jünger aus, als er war. Er war nicht unbesiegbar und nicht unverwundbar. Er trank kein Blut, und er konnte keine gottverdammten Riesenspinnen besiegen.
    Er begriff, dass die Begegnung eine Falle gewesen war. Die Spinne hätte ihn in Einzelteile zerlegen können, das hatte sie schon einmal bewiesen. Dies war kein Zufall gewesen. Die Szene war inszeniert, eigens für ihn.
    Nur warum?
    Ein Gesicht tanzte über seine Gedanken, nicht das der Spinne, sondern das Lord Edmonds. Irgendetwas hatten die beiden miteinander zu tun, da war er sicher. Ihre Arroganz überlappte in seiner Erinnerung. Wenn er nur mehr über die Sí wüsste. Doch sein Vater war zu spät erschienen. Genau wie das Mädchen. Zu spät. Alles war zu spät. Fragen über Fragen hatte man über ihm ausgeschüttet, doch ihm keine Antworten gegönnt. Nun starb er – wortwörtlich – vor Neugier.
    Wie eine Woge schlug die Verzweiflung über seinem Kopf zusammen. Durch sie hindurch stiegen neue Erkenntnisse wie Blasen auf. Er war im Weg gewesen. Er hatte das Mädchen gerettet, hatte Catty bei sich aufgenommen, und ein anderer hatte ihr nachgestellt.
    Sie hatte Lord Edmond geschrieben. Ein Ablehnungsschreiben. Sie war in den Mann verliebt gewesen, dann hatte sie herausgefunden, dass er kein Mensch war. Danach hatte sie ihn nicht mehr geliebt.
    Er stöhnte. Schmerz schnitt durch seine Eingeweide, der nichts mit seinem Kopf zu tun hatte.
    Dann bewegte er sich. Wie Blitze zuckte es ihm durch den Kopf, und einen Augenblick lang glaubte er, seinen Schädel von innen zu sehen. Ein Spalt war darin zu erkennen, der blutrot leuchtete. Er besah sich die Landschaft seines Gehirns, wie ein Forscher ein neues interessantes Tal betrachten würde. War das nun ein weiterer Schritt dem Tod entgegen? War es Delirium? Würde er mit dieser analytischen Klarheit eben diese Frage stellen können, wenn er im Delirium wäre? Sollte er sich nicht ohnehin ganz anders fühlen, nicht so weit entfernt von sich selbst?
    Die Welt drehte sich, und er krallte sich an der Pritsche fest, hatte Angst, er würde jeden Moment von dort hinuntergeworfen, durch eine Bewegung, von der er sehr wohl wusste, dass sie gar nicht stattfand. Irgendwo mitten in der Fülle seiner Gedanken nahm er Platz und sah sich selbst dabei zu, wie er am Abgrund der Ewigkeit entlangsegelte. Blut wurde zu Flüssen, Gehirnmasse zu Landschaft, und die Felsspalte im Bergmassiv leuchtete rot in der Abenddämmerung seines Lebens.
    Die Szene entbehrte

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