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Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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sich wünschen, mein Freund. Das Leben ist voller Überraschungen ‘ , hatte Lord Edmond ihn vor kurzem erst gewarnt. Die Platitude schien nun beinahe prophetisch. Hatte der Mann Thorolfs Andersartigkeit gespürt und sich über seine offenkundige Unwissenheit lustig gemacht? Oder war es nichts weiter als ein lockerer Salonkommentar gewesen in der Gegenwart gelehrter Menschen, die alle versuchten, etwas Bedeutsames zu sagen?
    Thorolfs Gedanken wirbelten in seinem Kopf herum. Er fuhr schnell die nach Westen führenden Straßen entlang, dorthin, wo die neuen Häuser standen. Sein Ärger ließ ihn mit Macht in die Pedale treten. Doch plötzlich hielt er inne, bremste und stemmte seine Füße gegen den Boden, ohne noch zu wissen warum.
    Er hatte keine Zeit, noch drüber nachzudenken. Ein hoher, spitzer Schrei durchschnitt die Nacht. Eine Frauenstimme, verzweifelt. Er sprang von seinem Fahrrad und sah sich um. Nun hörte er einen zweiten Schrei, näher, noch entsetzter. Offenbar kam der Hilferuf von vorn.
    Alle Gedanken an seine eigenen Probleme schlug er in den Wind. Er ließ das Fahrrad fallen und begann sogleich in die Richtung zu rennen, aus der die Schreie gekommen waren. Nur einen Augenblick später rannte etwas mit fliegenden Röcken auf ihn zu. Ein Kind. Es stieß mit ihm zusammen und warf ihn mit seinem Schwung fast um, und er nahm es ohne weiter darüber nachzudenken in die Arme, um es zu schützen und zu beruhigen.
    Kein Kind. Eine Frau. Zierliche Hände krallten sich in seinen Gehrock, und das süßeste aller Gesichter blickte zu ihm hoch. In einem einzigen Augenblick trank er ihre Ausstrahlung wie Wein. Riesige, vor Angst aufgerissene Augen, ganz hellbraun. Ihre mondbeschienenen Locken waren ihrem mädchenhaften Haarband entkommen, ihr Mund stand weit offen vor Panik. Sie war völlig außer Atem. Er fühlte ihren bebenden Leib in seinen Händen und an seinem Körper. Dieser war schmal und geschmeidig, er spürte, wie sie nach Luft rang, fühlte ihr flatterndes Leben.
    „Helfen Sie mir!“, rief sie und versuchte, sich noch tiefer in seinen Armen zu verbergen.
    Er musste ihr helfen. Mit erstaunlicher Klarheit, die all seine Grübelei mit einem Mal hinwegfegte, begriff er, dass er einen wertvollen Schatz gefunden hatte. Sein ganzes Leben lang hatte er genau auf dieses entzückende Wesen gewartet. Hunderte von Zeichnungen belegten das. Bilder von ihr. Diese Züge waren immer in seinen Gedanken gewesen. Nun war sie da.
    „Sie sind in Sicherheit“, sagte er. „Ich werde Sie beschützen. Was ist denn geschehen?“
    „Es ist hinter mir her! Es will mich töten. Oh Gott! Bitte!“
    „Keine Angst, Mädchen, ich … heilige Maria Mutter Gottes!“
    Er hatte erwartet, sich mit einem Mann schlagen zu müssen, vielleicht mit mehreren. Mit dem, was nun auf ihn zukam, hatte er nicht gerechnet.
    Durch die bleierne Dunkelheit kam es auf ihn zu, auf acht dornenbewehrten Beinen. Er erkannte es sofort, obgleich er es noch nie gesehen hatte. Das Spinnenungeheuer. Es war schnell. Zwei Köpfe hatte es, zwei gigantische Mäuler, und seine Krallen waren so groß wie die ganze Hand des Mädchens. Die Dornen an seinen Beinen wirkten wie gebogene Dolchklingen, und es hatte Zähne, vier Reihen spitzen Grauens, auf zwei Mäuler verteilt. Es war tödlich, ein Killer. Außerdem war es unmöglich, konnte gar nicht existieren, konnte nichts sein als ein Ausfluss tollwütiger Phantasie.
    Thorolf hatte es gezeichnet. Ebenso was es tat.
    Er zog die Hände des Mädchens von seiner Jacke und schob es hinter sich.
    „Lauf! Ich halte es auf. Lauf! Schnell!“
    Er sah sich nicht um, um nachzuprüfen, ob sie ihm gehorchte. Doch er hörte ihre Schritte und ihren paniklauten Atem.
    Die dunkle Kreatur vor ihm hielt nicht einmal inne und schien auch nicht von ihm beeindruckt. Thorolf wünschte, er hätte eine Waffe. Doch die Zeiten, in denen ein Gentleman noch stets ein Schwert an der Seite trug, waren vorbei. Er hatte nichts, womit er sich verteidigen konnte. Er hatte noch nie eine Waffe gebraucht, und so musste er nun ein klingenbewehrtes Ungeheuer mit bloßen Händen angehen.
    „Halt!“, rief er und vertrat ihm den Weg. „Ich erlaube nicht, dass du dich an ihr vergreifst!“
    Einen Augenblick später lag er auf dem Rücken, und die Kreatur saß auf ihm, hielt ihn mit Leichtigkeit nieder. Thorolf wurde klar, dass er noch nie so besiegt worden war. Er war nicht daran gewöhnt zu verlieren. Er hatte sich immer darauf verlassen können, dass er

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