Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
untot. Ich kann Fahrrad fahren. Eine ungemein unbequeme Art der Fortbewegung übrigens.“
„Aber ein armes, verfolgtes Mädchen finden, das um sein Leben rennt, können Sie nicht.“
Der Künstler drehte sich plötzlich fort und durchwühlte ein Schubfach seines Nachttisches. Augenblicke später hielt er einige Skizzenblätter in der Hand und schob sie seinem Vater in die Hände.
„Hier. Das ist sie. Ich habe mein ganzes Leben lang auf sie gewartet, und jetzt wollen Sie mir erzählen, dass es sie nicht mehr gibt?“ Ein rauer, verzweifelter Ton schwang in seiner Stimme. Die sonst so männliche Ausstrahlung, die den gutaussehenden Mann umgab, war verschwunden; geblieben war der unglückliche Junge.
Arpad besah sich die Zeichnungen sorgfältig, eine nach der anderen. Seine perfekten Augenbrauen hoben sich verwundert.
„Du bist gut. Hast du sie vor diesem Tag nie gesehen?“
Thorolf schüttelte den Kopf.
„Ein ausgesprochen süßes Mädchen“, fuhr der Dunkle fort. „Auf den letzten Bildern sieht sie ängstlich aus, verunsichert.“
„Ich konnte sie in der letzten Zeit nicht lachend zeichnen. Warum, weiß ich nicht.“
Ian eilte ins Wohnzimmer und kam mit mehr Zeichnungen zurück.
„Vielleicht hatte sie nichts mehr zu lachen“, sagte er und streckte Arpad weitere Bilder entgegen.
Der begutachtete sie mit gehobenen Augenbrauen.
„Nun“, sagte er, „du hast offensichtlich auch unseren Freund, die Drude, schon gezeichnet, bevor du sie getroffen hast. Doch die Frau am Boden ist nicht das Mädchen, das du gesehen hast. Das ist die Frau mit dem hübschen, einladenden Dekolleté, die im Tombosi war. Oh, und ein sehr gelungenes Bild von mir. Wie begabt du bist, zeichnest all die Dinge, die dir noch nicht begegnet sind. Wenn du als Künstler nicht genug Geld verdienen kannst, könntest du dich immer noch als Wahrsager verdingen. Nur scheint das nicht geraten. Es würde die Aufmerksamkeit von genau jenen Leuten auf dich ziehen, denen du besser aus dem Weg gehen solltest.“
Thorolf stand auf und ging steifbeinig zum Fenster, während er sich weiter der zerfetzten Überbleibsel seiner Kleidung entledigte.
„Ich kenne nicht mal ihren Namen“, sagte er nach einer Weile leise. „Nicht einmal das.“
Hinter ihm erhob sich Arpad vom Bett.
„Ich werde versuchen, ob ich mehr herausfinden kann. Doch ich kann dir nichts versprechen. Ich werde dich wieder besuchen.“
„Ausgezeichnet!“, brummte Thorolf wütend, ohne sich umzuwenden. „Genau was ich brauche. Mehr Besuche von einem elterlichen Blutsauger.“
Graf Arpads Gesicht zuckte, und Ian sog vorsichtig den Atem ein und machte sich bereit davonzurennen. Davonrennen schien ihm mit einem Mal eine sehr vernünftige Maßnahme zu sein. Obgleich es vermutlich sinnlos war. Das dunkle Wesen konnte seine Beine mitten in der Bewegung anhalten mit nichts als einem Gedanken. Außerdem sollte er nicht Fersengeld geben. Er sollte lieber seinem Freund helfen. Er sollte das Übernatürliche mit innerer Ruhe und Gelassenheit angehen. Schließlich war er ein Akolyth der Aroria-Loge. Allerdings auch gänzlich hilflos.
„Thorolf, geh schlafen“, sagte der Feyon nur. „Oder noch besser, betrink dich. Ein solider Kater wird deine Laune verbessern. Verschlimmern kann er sie nicht.“
„Ist das ein väterlicher Ratschlag?“
„München verfügt auch über einige sehr nette Vergnügungshäuser, in denen hübsche Mädchen ihre ganze Kunst aufbieten, um dich deine Sorgen zwischen ihren Schenkeln vergessen zu lassen. Ich könnte dir einige zeigen. Ich kenne sie alle.“
Ian schluckte. Sein Vater hatte solcherart Vergnügungsstätten nie erwähnt. Doch er war schließlich auch ein aufrechter schottischer Presbyterianer und nicht ein Stück verführerischer Dunkelheit, das einem die moralische Basis unter den Füßen wegzog, so dass man nicht mehr wusste, was man wollte oder sollte.
„Dir auch, McMullen“, fuhr der Graf lächelnd fort. „Ich halte nichts von den Vorzügen des Zölibats. Gar nichts. Den Weg in ein Mädchen zu finden ist allemal besser, als sich verloren zu fühlen.“
In diesem Moment verlor Treynstern die Fassung endgültig und schlug nach dem Mann, der sein wahrer Vater war. Er bekam ihn nicht zu fassen. Der Vampir war viel zu schnell. Ian wich aus der Kampfzone und sah den beiden beeindruckenden Männern zu. Der Künstler war der geringfügig Größere, zudem war er massiver gebaut. Seinen sehnigen, durchtrainierten Körper konnte man durch die
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