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Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman

Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman

Titel: Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Er fragte sich, was passieren würde, wenn er sie bis Einbruch der Dunkelheit nicht gefunden hätte, und bis dahin waren es nur noch wenige Stunden. Wieder und wieder rief er ihren Namen und fragte alle, die er traf, ob sie ein kleines Mädchen gesehen hatten.
    Jonathans Verzweiflung nahm immer mehr zu. Er gab sich die Schuld, er hatte das Versprechen, das er Andro gegeben hatte, nicht gehalten. Er hatte nicht gut genug auf sein kleines Mädchen aufgepasst. Jonathan dachte an Marlees niedliches kleines Gesicht, ihr Lächeln. Er hörte, wie sie über seine Witze lachte. Er sah sie auch um Mutter und Vater weinen. In seiner Einbildung rief sie um Hilfe, doch er konnte nichts tun. Er quälte sich mit der Vorstellung, dass sie womöglich verletzt irgendwo in einem der Schächte lag, und er war sich darüber bewusst, dass es praktisch keine Chance gab, einen Sturz in eine Mine zu überleben.
    »O mein Gott, wo ist sie nur, meine kleine Marlee?«, betete Jonathan. Seine Stimme war inzwischen ganz heiser, so oft hatte er schon nach ihr gerufen. »Bitte, bitte, lass alles gut mit ihr sein.«
    Immer wieder lief Jonathan zurück zum Camp, für den Fall, dass Marlee dort nach ihm suchte. Er hatte die Minenarbeiter in der Nähe seines Claims gebeten, sie aufzuhalten, falls sie während seiner Abwesenheit zurückkäme, aber die meisten waren mit ihren eigenen Claims beschäftigt, und dass sie eine große Hilfe sein würden, traute er ihnen ohnehin nicht zu. Alle hatten seine Sorgen als übertrieben abgetan und ihm gesagt, Marlee sei sicher irgendwo in der Nähe und werde schon zurückkommen, wenn sieHunger bekomme. Ihr mangelndes Interesse an der Kleinen war darauf zurückzuführen, dass sie eine Halb-Aborigine war, davon war er überzeugt. Es wurde allgemein angenommen, dass Aborigines, sogar Kinder, in der Wildnis gut zurechtkamen. Sie waren es von klein auf gewohnt, mit ihren Eltern umherzuziehen. »Auf Walkabout gehen« nannten sie das.
    Als es fast dunkel war, stand Jonathan kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Ich muss Constable Spender benachrichtigen, dachte er, ich werde ihn bitten, eine Suchaktion zu organisieren. Mit gesenktem Kopf machte er sich auf den Weg.
    »Jono?«, vernahm er da eine Stimme.
    Jonathan sah auf, und eine unendliche Erleichterung überfiel ihn, als er Constable Spender und Erin, die Marlee an der Hand hielt, auf sich zukommen sah.
    »Marlee!«, rief er. »Marlee, wo hast du nur gesteckt? Gott sei Dank ist dir nichts passiert.« Jonathan sank auf die Knie, zog die Kleine in seine Arme und drückte sie fest an sich. »Wo war sie denn?«, fragte er Will.
    »Ich habe sie in der Nähe des Friedhofs gefunden«, antwortete dieser.
    »In der Nähe des Friedhofs! War sie am Grab ihres Vaters?«
    »Nein, sie war in einem Aborigine-Lager.«
    Jonathan war verblüfft. »Was hat sie denn da gemacht?« Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, Marlee bei den Aborigines zu suchen.
    »Sie saß auf der Erde und spielte mit den Kindern und den jungen Hunden«, erklärte Will.
    »Ist denn keiner von den Erwachsenen auf die Idee gekommen, sich zu erkundigen, woher sie stammt?«, fragte Jonathan verärgert. Hätte das jemand getan, wären ihm viele Sorgen und Ängste erspart geblieben.
    »Aborigines sind Nomaden, Mr. Maxwell. Sie wandern. Ihre Kinder wandern. Für sie war es nichts Ungewöhnliches, ein fremdes Kind in ihrem Lager zu haben, zumal es ein Aborigine ist.«
    Jonathan schüttelte ungläubig den Kopf und sah das kleine Mädchen an. »Warum bist du aus der Schule weggelaufen, Marlee?«, fragte er. »Lernst du denn nicht gern? Bist du denn nicht gern mit anderen Kindern zusammen?«
    Marlee senkte den Kopf, sagte aber nichts.
    »Sind da noch andere Aborigine-Kinder in der Schule?«, fragte Erin. »Vielleicht fühlt sie sich fehl am Platz.«
    »Das könnte sein, nur wenige Kinder besuchen diese Schule. Die meisten Schüler sind Jungen, und die sind alle älter als Marlee«, antwortete Jonathan. »Ein kleines Mädchen gibt es noch, das aber sehr scheu ist. Ich dachte, die beiden würden sich vielleicht anfreunden.«
    »Wissen Sie, Mr. Maxwell«, mischte Will sich ein, »das Umherziehen, das liegt ihr nun mal im Blut. Wirklich niederlassen wird sie sich später vielleicht nirgends. Das machen Aborigines nun mal nicht.«
    »Ihr Vater war kein Aborigine«, protestierte Jonathan. Die Minenarbeiter hatten ihm so etwas ja schon gesagt, aber er konnte es nicht glauben.
    »Trotzdem, vielleicht hat sie mehr von der Mutter als

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