Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman
vom Vater. Aborigines sind es nicht gewohnt, eingeschränkt zu werden. Deshalb spricht sie auch nicht so gut auf die Schule an. Mit so was habe ich Erfahrung. Wenn wir einen Aborigine ins Gefängnis sperren, wird der fast verrückt.«
»Sie ist intelligent, also wird sie sich an die Schule gewöhnen müssen«, beharrte Jonathan. »Ich verstehe ja, dass das anfangs ein bisschen fremd ist, zumal ihr Leben in den vergangenen Wochen ziemlich auf den Kopf gestellt wurde. Sie muss dennoch lernen, sich anzupassen.«
»Sie werden schon sehen, dass ich recht habe«, erwiderte Constable Spender.
Erin warf Will einen warnenden Blick zu. Jonathan hatte schon genug Sorgen, er konnte wirklich nicht noch mehr gebrauchen. »Ich glaube eher, Jonathan hat recht«, sagte sie.
Will zuckte mit den Schultern und ging verstimmt fort. Erin hatte Jonathans Partei ergriffen, und das gefiel ihm gar nicht.
In der folgenden Woche lief Marlee jeden Tag aus der Schule weg. Fünf Mal fand er sie in einem der Aborigine-Lager in der Nähe der Stadt. Sie spielte mit den Kindern und den jungen Hunden, lief lachend umher, als ob sie auf dieser Welt keine Sorgen hätte. Seltsamerweise schienen die Erwachsenen sie nicht zu bemerken. Was Jonathan am meisten Sorgen machte, war allerdings die Tatsache, dass die Gruppen, zu denen sie sich gesellte, nicht immer dieselben waren. Er hatte große Angst, dass sie eines Tages einfach mit auf eine ihrer Wanderungen gehen und dass er sie nie wiedersehen würde. Einmal brachte Constable Spender Marlee zur Mine zurück, bevor Jonathan überhaupt erfahren hatte, dass sie vermisst wurde. Er erklärte, sie sei mit den Aborigines in der Stadt gewesen.
»Ich habe Ihnen ja gesagt, sie wird nicht in der Schule bleiben«, sagte Will. »Sie möchte mit ihren Leuten zusammen sein, will frei umherziehen.«
Jonathan war maßlos enttäuscht, aber er erwiderte nichts. Er war sicher, dass seine Beharrlichkeit sich am Ende auszahlen würde. So sollte es jedoch nicht kommen. Als er Marlee am darauffolgenden Montag zur Schule brachte, erklärte Miss Simpson, sie könne sich nicht mit einer Schülerin belasten, die gar nicht in die Schule wolle.
»Ich trage Verantwortung für meine Schüler. Dass Marlee ständig fortrennt, verstört die anderen«, sagte sie.
Jonathan versuchte, die Lehrerin davon zu überzeugen, dass sich Marlee bald einleben würde, Miss Simpson wollte allerdings nicht nachgeben, und er nahm Marlee mit zurück ins Camp.
Auf dem Weg begegneten sie Clementine.
»Heute nicht bei der Arbeit, Jonathan?«, fragte sie. Er sieht aus, als trüge er alle Last der Welt auf den Schultern, dachte sie. Sie hatte natürlich von Andros Tod gehört und wusste auch, dass Jonathan jetzt Marlees Vormund war, deshalb war sie nicht verwundert.
»Die Lehrerin will Marlee nicht in der Klasse behalten, weil sie aus dem Unterricht wegläuft«, erklärte Jonathan mutlos.
Er hatte, wenn auch nur kurz, in Erwägung gezogen, die Kleine mit hinunter in die Mine zu nehmen. Aber er wollte nicht, dass sie den Staub einatmete, und außerdem gab es immer das Risiko eines Einsturzes. »Jeden Tag läuft sie weg. Meistens finde ich sie bei den Aborigines hier in der Gegend.«
»Dann können Sie ja gar nicht arbeiten«, bemerkte Clementine.
»Nein«, erwiderte Jonathan. Für eine Weile würde sein Geld reichen, jedoch nicht ewig.
Clementine erkannte seine Notlage. »Ich würde ja meine Hilfe anbieten«, sagte sie verlegen. »Aber ich muss tagsüber schlafen.«
»Danke, Clementine, das Problem muss ich allein lösen.«
»Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, dass Marlee vielleicht irgendwo eine Aborigine-Familie haben könnte?«, fragte Clementine.
»Nein«, antwortete Jonathan. Darüber hatte er tatsächlich noch gar nicht nachgedacht.
»Eigentlich können Sie sicher sein, dass es so ist. Ihre Mutter kommt, wie ich hörte, aus irgendeinem großen Clan. Vielleicht von einem Stamm aus der Gegend hier. Ihre Leute können aber auch Hunderte von Meilen entfernt von Coober Pedy leben.«
Jonathan wurde hellhörig. »Woher wissen Sie das alles, Clementine?«
»Eine junge Aborigine wohnte mal eine Weile bei mir und den anderen Mädchen. Sie hat uns viel von ihrem Leben erzählt. Sie wissen doch vom Walkabout der Eingeborenen, oder?«
»Ja, davon habe ich gehört.«
»Manchmal ziehen sie monatelang umher, sie können innerhalb kurzer Zeit gewaltige Entfernungen zurücklegen.«
»Jetzt, da Sie es sagen, fällt mir ein, dass ich Gedda immer
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