Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
milder Zug legt sich auf Stefanías Gesicht. Da wirst du aber Pech haben, sagt sie, rückt die Brille zurecht und mustert mich. Die Vorhersage ist verheerend.
*
Da hat Stefanía wohl den Nagel auf den Kopf getroffen, sage ich, als Axel anruft, um mir mitzuteilen, dass es definitiv an diesem Tag keinen Flug mehr geben wird. Ich kann ihn kaum verstehen, er scheint mir zu sagen, ich solle Pillen gegen die Kopfschmerzen nehmen; es klingt, als wäre da im Flughafen auf voller Lautstärke ein Radio aufgedreht. Ich bekomme keine Gelegenheit, das Missverständnis aufzuklären, weil er sofort nach Helgi fragt. Ich erinnere ihn daran, dass Helgi in der Schule sei und erwähne, dass es wegen heute Abend ein Problem gebe, da ich zu dem Krimi-Workshop des Verlages müsse und zwar um sieben Uhr. Ob Helgi vielleicht währenddessen bei irgendjemand … anderem bleiben könne?
Axel schnappt nach Luft: Sunna, bist du wahnsinnig? Irgendjemand! Also erst mal bin ich nicht gerade begeistert davon, dass du meinen Sohn bei irgendjemand anderem unterbringen willst. Und abgesehen davon, würde seine Mutter durchdrehen, wenn sie das erfährt. Du darfst auf gar keinen Fall bei ihrer Mischpoke anrufen.
Und was dann?
Musst du unbedingt zu diesem Workshop gehen?
Ja, sage ich. Die Brüder haben es mir aufs Auge gedrückt.
*
Über einem wüsten Durcheinander von Bestellzetteln kommt mir die Idee, Mama anzurufen und zu fragen, ob sie auf Helgi aufpassen könnte. Zu meinem Entsetzen schlägt sie vor, dass ich ihn mit zu dem Workshop nehmen soll. Als ich ihr die Nachteile dieser Idee aufzähle, beschließt sie einfach mitzukommen und während des Workshops auf ihn aufzupassen. Ich bin total baff. Wie um alles in der Welt kommst du denn darauf?
Um ehrlich zu sein, ist das der erste interessante Kursus, zu dem du je versucht hast, mich zu überreden, sagt sie.
Ich habe noch nie versucht, dich zu etwas zu überreden, Mama.
Reg dich nicht auf, meine Kleine. Du hast auch so deine Tricks.
Und du musst wieder alles bestimmen, hätte ich fast gesagt, stottere stattdessen nur etwas davon, dass Helgi seine Ruhe brauche, um zu lernen.
Spätzelein, sagt Mama. Welcher Junge ist nicht sofort bereit, die Hausaufgaben schnell vor dem Schlafengehen hinzuschmieren, wenn er dafür in einen Kursus gehen darf, wo sich alles um Detektive dreht? Das darfst du uns nicht vorenthalten, weder der Alten noch dem Kind.
Du darfst nicht so herumtoben, während ich für uns arbeite, hatte Mama gesagt, doch ich drehte mich weiter auf dem Chefsessel der Steuerberaterkanzlei, in der sie samstagnachmittags putzte.
Das darfst du nicht, hatte Mama gesagt, als ich die Kosmetikprodukte im Badezimmerschrank ausprobierte, während sie im Kühlhaus war.
Unterbrich uns nicht, wir führen eine Grundsatzdiskussion über die Gesellschaft, hatte Mama gesagt, während sie mit ihren Gewerkschaftlern bei Kaffee und Schnittchen zusammensaß.
Du darfst uns nicht wach halten, denn wir müssen morgen früh raus, hatte Mama abends gesagt. Als ich aufwachte, war sie in der Dunkelheit verschwunden.
Mein sehnlichster Wunsch war es, ihr das Leben zu erleichtern. Genauer gesagt, der zweitsehnlichste. Der allersehnlichste war es, genauso zu leben wie die anderen Kinder auch: ein schönes, verwöhntes Leben bei wohlhabenden, modern gekleideten Eltern, die Pizza aßen und sie auch so nannten. Das Leben, von dem ich mir vorstellte, das sie es lebten. Die Kinder, die ich hasste.
In Momenten wie diesem wird mir klar, warum ich all diese Jahre im Ausland gelebt habe.
Wir holen dich gegen sechs ab, Mama, sage ich kleinlaut. Der Workshop ist in der Cafeteria hier im Verlag. Nun muss ich mir schnell ein paar Verkaufsargumente ausdenken und Snacks für die Teilnehmer kaufen.
*
Verkaufsargumente, Verkaufsargumente, Verkaufsargumente … Wie können die davon ausgehen, dass ich mit ein paar Wörtern Bücher verkäuflich machen kann, die mir die Einkäufer am liebsten um die Ohren knallen würden? Was soll das denn sein – Verkaufsargumente?
Vielleicht so:
Sehen Sie mal, in diesem liebevoll gemachten Buch schlüpft Pu der Bär in die Rolle des Protagonisten aus August Strindbergs Inferno und verhilft ihm mit ähnlichen Methoden zu mehr Weisheit wie in Benjamin Hoffs fantastischem Kinderbuch Tao und Pu der Bär , wo Pu der Bär dem Leser die Lehren des Taoismus auf seine einmalige Art nahebringt. Hier ist derselbe taoistische Teddybär unterwegs, ganz wie gehabt, nur dass er sich nun der
Weitere Kostenlose Bücher