Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt

Titel: Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audur Jónsdóttir
Vom Netzwerk:
einem Moment zum nächsten. Wir kicherten in einer Tour, Tag für Tag musste der Dozent uns ermahnen wie kleine Kinder. Aber ich genoss es. Und wie ich es genoss, nachdem ich den ganzen Herbst über allein durch Barcelona gelaufen war; oft wie von Sinnen, aber manchmal auch aufmerksam in Millionen von Augen blickend, die meinem Vater hätten gehören können. Ich war zu schüchtern gewesen, um mich mit den anderen ausländischen Studenten im Sprachkurs anzufreunden, die fast alle irgendwo zusammenwohnten: Die Deutschen hatten in einer großen Wohnung eine WG aufgemacht, und die Skandinavier wohnten auf dem Campus der Uni, was ich mir genauso wenig leisten konnte wie Arndís.
    Was für eine Erleichterung, dieser Klassengesellschaft zu entkommen, wo zwei schwedische Schicksen zusammen mit einem süßen, versnobten Surferboy aus Köln ganz oben standen und ich ganz unten, zusammen mit einem bescheidenen Querflötisten aus Taiwan und einer angeblich hochbegabten chinesischen Studentin, die mehr lachte als redete.
    Es war wie sonst überall auch: Alle anderen bewegten sich selbstsicher in ihrer Sorglosigkeit, waren umgeben von der goldenen Aura derer, denen es nie an etwas gefehlt hatte, so dass sogar ihre Haut bronzefarben war. Sie kleideten sich scheinbar leger, und doch waren ihre Jeans und T-Shirts Modeartikel aus besonderen Materialien. Abends gingen sie zusammen in Klubs, für die man ein Codewort brauchte, das sie sich im Unterricht gegenseitig zuflüsterten – so lange, bis Arndís all das mit einem herablassenden Blick fortfegte, woraufhin der Surferboy auf eine Art und Weise höflich wurde, die ich ihm nie zugetraut hätte, und die schwedischen Schicksen sich schlagartig total banal vorkamen. Und wenn sie zehnmal den Seminarraum erobert hatten – Arndís machte den Eindruck, als habe sie die ganze Welt erobert. Ein Blick reichte, und sie wusste alles über jeden, sie kannte unsere Kommilitonen besser als die sich selbst. Die Markenklamotten verblassten im Vergleich zu ihrem Stil: Designerkleider in Kombination mit afrikanischen Tüchern und 365 Paar Schuhen. Ihr Auftreten machte den anderen sofort klar, dass sie es war, die die Regeln aufstellte. Sie richtete sich nach niemandem, aber alle richteten sich nach ihr. Ja, alle sehnten sich nach einem Zeichen der Freundschaft oder einem Kuss und etwas mehr von ihr. Die meine Freundin war. Die fragte, ob sie vorübergehend bei mir wohnen könnte. Zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich mich selbst.
    *
    Helgi stellt den Teller in die Spüle. Der Pony verhüllt die freudige Erwartung in seinem Blick, als er fragt, wann Axel denn nun komme.
    Hoffentlich bald. Ich stehe hastig auf, schütte Kaffee in einen Becher und schlage vor, dass wir uns anziehen. Er bejaht das, bleibt aber regungslos stehen, bläst die Ponyfransen aus seinem Gesicht und erzählt, dass der Nachrichtensprecher im Radio gesagt habe, dass nun die Politiker entscheiden, wer zusammen regieren wird. Ob die das dürfen?
    Verwundert frage ich, ob er sich für Politik interessiert. Das Meeresblau leuchtet in seinen Augen, als Helgi Ja sagt, ein bisschen, er habe in der Schule in Dänemark neulich die Demokratie gehabt, Demokratie und Diktatur, sogar über Putsch hätten sie gesprochen, wenn Soldaten mit Gewehren die Macht übernehmen, so wie irgendwann einmal in Chile.
    Du kennst ja schon die ganzen richtigen Begriffe, sage ich so überrascht, dass Helgi auflacht. Seine Natürlichkeit erinnert mich an Axel, wenn er einen guten Tag hat, wenn er seinen Gedanken freien Lauf lässt. Doch die guten Tage sind weniger geworden in den letzten Monaten, leider, die Geldsorgen belasten ihn immer mehr, und an schlechten Tagen schweigt er stundenlang. Helgi reißt mich aus den Grübeleien und sagt stolz, dass er diese Begriffe extra mit seiner Mutter gelernt habe, weil sie will, dass er sie auch auf Isländisch beherrscht, sie könne diese Begriffe in vielen Sprachen sagen, das müsse sie ja auch, als Juristin.
    Ja, sie ist klug, sage ich. Bevor ich es vergesse, Helgi. Geh kurz ins Bad, bevor du dich anziehst, ja?
    Mein Vorschlag sorgt dafür, dass er die Augen verdreht und mault, aber als das Telefon klingelt, hört er sofort damit auf.
    Die Worte sind vor lauter Windgeheul kaum zu verstehen. Sunna!, ruft Axel, der offensichtlich mitten im Sturm steht.
    Hallo, mein Schatz, sage ich und sehe Helgi in die Augen, der kerzengerade vor mir steht, während die Informationen aus seinem Vater heraussprudeln. Warte, ich

Weitere Kostenlose Bücher