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Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt

Titel: Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audur Jónsdóttir
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feuchten Zimmer herumzuhängen. Ich war in puncto Essen und Kleidung an eine gewisse Eintönigkeit gewöhnt, an die altbackenen Klamotten, die Mama nach Schnittmustern aus Zeitschriften nähte, und an die Kochfischgerichte mit Rhabarberkompott, denen ich immerhin eine ganz annehmbare Figur zu verdanken hatte. Nun aber empfand ich es als ein Geschenk des Himmels, mit einer Freundin durch die Klamottengeschäfte ziehen zu können. Dankbar nahm ich es auf, wenn Arndís mich auf Schnäppchen und junge Designer hinwies, Marken verglich und die besten Angebote ausfindig machte. Ich machte ihren Geschmack zu meinem, während sie die smarten Geschäfte von den schäbigen unterschied, die richtigen Diskos und Restaurants aussuchte und über die Leute auf der Straße redete. Sie konnte sich für Neo-Hippies mit Dreadlocks in modisch abgerissenen Klamotten ebenso begeistern wie für wettergegerbte Seemänner in Piratenbars und ganz normale Einheimische, die die Boulevards entlanghasteten. Am liebsten umgab sie sich jedoch mit Leuten, die Katalanisch und Spanisch sprachen, denn sie sog beide Sprachen auf wie ein Schwamm.
    Ihre Faszination für unkonventionelle Lebensstile hatte allerdings Grenzen. Während wir durch den sonnenverbrannten Zuckerduft streiften, der an schönen Tagen über der Stadt hing, begegneten wir immer auch Leuten, die ihr ganz und gar nicht passten. Ein illegaler Einwanderer aus Afrika, der gefälschte Markensonnenbrillen verkaufte, konnte sie zum Beispiel dazu bringen, lang und breit über die nachlässigen Grenzkontrollen der Spanier zu schimpfen, die sie damals die Torwächter Europas nannte. Obdachlose und Junkies, die ihr zufolge selbst an ihrem Elend schuld waren, ekelten sie an. Ich merkte schnell, wie sie es hasste, wenn andere Leute ihr Unglück in der Öffentlichkeit zeigten – sie wollte der Welt Manieren beibringen wie eine Hausfrau einem flegelhaften Kind. Am unerträglichsten fand sie Frauen, die ihr Haar oder gar Gesicht verhüllten. Einmal kam uns eine Frau mit Kopftuch entgegen und Árndis flüsterte mir zu, dass sie die Frau am liebsten so lange schütteln würde, bis sie zur Vernunft kam. Ich lachte. Fand es charmant, was für reaktionäre Ansichten meine Freundin hatte – besser als meine Gleichgültigkeit war das auf jeden Fall. Ihre Empörung gegenüber allem, was falsch war, erinnerte mich an meine Mutter. Meine Kindheit hatte mich krassen Ansichten gegenüber unempfindlich gemacht, und so machte es mir auch jetzt nichts aus. Zumindest solange ich dafür keine Verantwortung übernehmen musste.
    Wir gingen weiter. Ich sah in ihr verkniffenes Gesicht, sie wollte so viel, viel, viel tun. Ihre Augen loderten in unersättlicher Empörung.
    *
    Mist, nun habe ich gestern vergessen zu waschen.
    *
    Stefanía steht vor meinem Schreibtisch jenseits der Papierstapel und glotzt mich sorgenvoll an. Sie richtet den hellen Kragen ihrer Bluse und wippt auf ihren Schuhen mit den niedrigen Absätzen hin und her, dann fangen die Brüder an, durch sie hindurchzusprechen: Du darfst nicht so schüchtern sein, nicht so gefühlig, nicht so lieb. Jetzt ist die Zeit, wo du unsere Bücher in die Verbrauchermärkte bringen und die Einkäufer daran hindern musst, die Titel zurückzugeben, die Þorgeir bereits bei ihnen platziert hat. Dieses Philosophiebuch mit dem Teddybären zum Beispiel, das ist ein literarisch wertvoller, vielfach ausgezeichneter Bestseller, den man problemlos verkaufen kann. Du musst dir nur ein paar gute Verkaufsargumente überlegen. So macht Þorgeir das. Er überlegt sich Verkaufsargumente für jedes Buch. Und er versteht es, mit den Händlern eine gute Provision auszuhandeln.
    Ich versuche mein Bestes.
    Außerdem musst du etwas für dein Aussehen tun, sagt sie steif. Wo ist die Kette, die du gestern getragen hast? Geh mal zum Frisör und lass dir einen schicken Schnitt verpassen. Und kauf dir hochhackige Schuhe! So lange Þorgeir krank ist, bist du das Aushängeschild des Verlages. Und du weißt doch, wie sehr er auf seine Kleidung achtet.
    Ich weiß.
    Und du weißt auch, dass wir im Weihnachtsgeschäft besonders früh aufstehen müssen, wenn sich dieser Verlag weiterhin über Wasser halten soll.
    Verschämt verspreche ich ihr, mein spätes Erscheinen dadurch wettzumachen, dass ich die Mittagspause durcharbeite, es sei nur so gewesen, dass ich Axels Sohn zur Schule bringen musste, weil er in Ísafjördur in einem Unwetter festsitzt. Aber heute Abend ist er hoffentlich zurück.
    Ein

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