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Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt

Titel: Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audur Jónsdóttir
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schon mal ein Herz für mich, ich meine das ernst, ich vertraue dir, kauf am besten eins, das einem dieser unheimlichen Typen gehört, die unschuldige Menschen auf dem Laugavegur erschrecken, du findest die Preisliste in meinem Internet-Browser, aber sieh dich vor, dass Mama nie davon erfährt. Sie ahnt nicht, dass Gott in einem Computer wohnt.
    Ich bekomme kaum noch Luft, die Pranke, die mein Herz im Griff hält, nimmt mir mehr den Atem als jeder Staub. Du weißt nicht, dass ich schuld bin. An allem. Jordi, ich schäme mich dafür, dass ich nur aus schlechten Gedanken bestehe. Es tut mir leid. Axel, beten wir zu dem Allmächtigen, dass er uns beide beschützen möge, damit wir zusammen leben können, ich schwöre dir, ich wusste zwar, dass die Welt ein merkwürdiger Ort ist, aber nicht, dass sie geisteskrank ist. Nun sehne ich mich danach, aufzuwachen mit einem Kopf voller guter Gedanken. Glaube. Glaubst du an uns?
    Mich?
    Ruhig. Ruhig. Atme: ein-aus-ein-aus-ein-aus …
    Wenn diese Nacht nur vorbeigeht.
    *
    Ein Achtzigerjahre-Schlager von Elton John sickert in mein Bewusstsein. Mit schweren Gliedern tappe ich ins Bad, lasse heißes Wasser in die Wanne und beschließe, Helgi erst aufzuwecken, wenn ich fertig gebadet habe, er braucht seinen Schlaf.
    Dampf steigt aus der Wanne auf. Sobald ich hineingestiegen bin, breitet sich eine Benommenheit in mir aus wie nach dem Yoga, ich atme tief mit einem Waschlappen auf der Stirn. Nach dem Wetterbericht zu urteilen, ist es ausgeschlossen, dass Axel heute kommt.
    Wahrscheinlich waren das heute Nacht nur Menstruationsbeschwerden. Wenn ich mich nicht täusche, habe ich heute Nacht meine Tage bekommen. Hoffentlich stimmt das nicht, die Kinder wollen keinen blutenden Teddybären. Ich sollte im Badezimmerschrank nach einer Binde suchen.
    Helgi klammert sich an seine Träume, als ich ihn anstoße.
    *
    Vor uns erhebt sich eine Stadt aus Licht, die hier drinnen errichtet worden ist, ohne dass es jemand mitbekommen hätte. Sie glitzert und glänzt, vollgestopft mit Weihnachtsschmuck. Blinkende Pfeile führen die Leute über beleuchtete Treppen hinein, führen sie zwischen Regalreihen hindurch, erwartungsvolle Freude weckend wie in einem Labyrinth auf dem Jahrmarkt.
    Hier gibt es ja alles, kreischt Helgi, als er endlich ein Wort herausbringt. Sieh mal, hier kann man sogar einen Jeep kaufen.
    Wir gaffen einen mit Lametta geschmückten Geländewagen an, an dessen riesigen Reifen Christbaumkugeln hängen. Dann drängele ich mich weiter mit dem Kostüm und einem signierten Exemplar des Teddybärenbuches unter dem Arm, das ich – koste es, was es wolle – heute im größten Verbrauchermarkt des Landes verkaufen muss.
    Helgi folgt mir, total perplex angesichts der Berge von Essen, Süßigkeiten, Klamotten und sonstigem Kram. Immer wieder sieht er etwas, einen Limonadenstand zum Beispiel, und bleibt mit offenem Mund stehen. Dann zieht er mich am Ärmel: Sunna, hörst du das?
    Was?
    Dieses Lied, das sind die Leute aus der Talentshow im Fernsehen, die Weihnachtslieder singen. Wollen wir uns das anschauen?
    Du kannst da gern hingehen, sage ich. Aber der Teddy muss jetzt gleich in voller Montur auftreten. Falls du mich suchst, findest du mich beim Umziehen da in dem Klo mit dem Bild von dem Rollstuhl an der Tür.
    Helgi verschwindet in der wogenden Menschenmenge, die sich vor der Bühne versammelt und den schlechten Geruch von schwitzig nassen Winterjacken verströmt, der mich an saure Milch erinnert – ob das der Menschengeruch ist, den Trolle wittern? Ich schleiche mich auf die Behindertentoilette, bleibe abrupt stehen und unterdrücke einen Schrei. Auf dem Fußboden liegt der Mann mit der Uhr.
    Er schnarcht mit offenem Mund, seine Schnarchgeräusche verbinden sich mit dem Tick-tack der Uhr in der offenen Reisetasche zu einem Stück moderner Musik. Aus den Taschen seines Regenmantels zieht sich eine Spur von Tabakkrümeln bis zu einem zertretenen Lebkuchen. Er muss sich vor der Eröffnung hereingeschlichen haben, wahrscheinlich gestern Abend, als die Mitarbeiter mit den letzten Vorbereitungen für das Großereignis beschäftigt waren. Merkwürdig, ihn in dieser Umgebung zu sehen, Leute wie er sollten nicht hier sein, wo alles auf Konsum ausgerichtet ist, sie sollten irgendwo sein, wo sie einen heißen Kaffee bekommen, einen freundlichen Klaps auf den Rücken und eine alte Zeitschrift auf den Weg.
    Ratlos starre ich ihn an. Irgendwer hat mir einmal gesagt, dass er ein erfolgreicher Mann

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