Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
gewesen sei, Pharmazeut mit eigener Apotheke, die er zusammen mit seiner geistigen Gesundheit verloren hat, nachdem erst seine Frau an Brustkrebs gestorben war und kurze Zeit später seine einzige Tochter an Leukämie. Ich weiß nicht, ob da was dran ist. Aber man sagt sich, dass er seitdem an nichts anderes mehr denkt als an die Zeit. Er bemüht sich, sie zu verstehen. Einen Ausweg zu finden, wie er es ausdrückt.
Am besten lasse ich ihn noch etwas schlafen. Die Mitarbeiter entdecken ihn ohnehin bald, und dann braucht er Kraft, wenn er von der Polizei hinausgeführt wird. Leise schließe ich seine Reisetasche, schiebe ihm tausend Kronen in die Manteltasche und meine Handschuhe unter den Kopf. Wenn jemand noch etwas Zeit verdient hat, dann der Mann mit der Uhr.
Dann gehe ich auf die Damentoilette, um die Verwandlung zu vollziehen.
*
Die Augenlider rutschen schon wieder herunter, als ich mich durch die Menge kämpfe und rufe: Ho, ho, ho, Mamas, Kinder und Papas – wollt ihr nicht dem Teddy auf die Bühne helfen?
Da dröhnt eine Bassstimme zu mir herüber: Hreggvidur kann alle Bären der Welt heben!
Eilig rücke ich die Augenlöcher zurecht, in diesem Moment kommt ein Mann auf mich zu, dessen Trikot mit Stärkster Mann von Sudurnes beschriftet ist. Er stößt einen Schrei aus, dann wirbelt er mich durch die Luft. Meine Organe scheinen in mir zu rotieren, während ich über tausend lachende Gesichter fliege. Mir wird schwarz vor Augen. Seit er mich gepackt hat, johlt das Publikum vor Freude. Mein Mageninhalt steigt die Speiseröhre hinauf, ich schlucke schnell – das darf nicht passieren. Unter größter Anstrengung schlucke ich alles, befreie mich aus dem Griff des Kraftprotzes, erklimme die Bühne und rempele eine engelsblonde Lyrikerin an, die mit dünner Stimme und zitternden Beinen ein Gedicht über eine nymphomanische Stewardess vorträgt. Sie klatscht mit dem Bauch zuerst auf den Boden, so dass ihr altmodisches Kleid hochrutscht, ihre Beine strampeln in geringelten Strumpfhosen. Sie tastet nach ihrem Buch, als ich zu ihr hintapse, sicher hat sie einen Schock bekommen. Aber nein. Sobald ich ihr hochgeholfen habe, liest sie ein weiteres Gedicht:
Es war
ich lebte
ich lachte
ich starb
Es ist
Nach den letzten Worten schmatzt sie dreimal. Dann sagt sie mit ihrer kindlichen, aber eindringlichen Stimme, sie finde es total toll, dass die Leute sich die Gedichte angehört haben, und kündigt den nächsten Gast an: Nämlich den Teddybär hier neben mir, der euch etwas ganz Interessantes sagen will.
Genau! Ich würge zum zweiten Mal einen Schluck Saures hinunter. Herzlich willkommen, das ist wirklich ein …
Eine der Sicherheitsnadeln sticht mir in die rechte Augenbraue. Der Schmerz ist kaum auszuhalten. Ich schaffe es, sie mit einer Pranke wegzuhauen, bevor ich weitermache: … großes Vergnügen, euch alle hier zu sehen. Deswegen will ich euch auch gleich von zwei honigsüßen Büchern erzählen: Das erste können alle Bärenmamas und Bärenpapas in der Weihnachtsnacht lesen, und das andere ist für alle kleinen Bärenkinder, das kann man immer wieder lesen, so lustig ist das. Das Erwachsenenbuch ist von niemand anderem als Valgardur Jónsson, dem Weltmeister im Krimischreiben, alle Papas und Mamas kennen ihn und freuen sich jetzt bestimmt darüber, dass es da an dem Tisch neben dem Weihnachtsbaum sein neues Buch zu einem Supersonderpreis gibt.
Applaus kommt auf, einige pfeifen sogar; es kommt Bewegung in die Menge, da einige gleich die Gelegenheit ergreifen und sich ein Exemplar holen wollen.
Dann möchte ich euch Kindern von einem Buch erzählen, in dem es um mich geht. Da treffe ich nämlich einen Mann, der aus dem Buch des vor ungefähr hundert Jahren gestorbenen schwedischen Schriftstellers August Strindberg kommt. Der hat sehr bedeutende Bücher geschrieben, und hier lernt ihr nun Strindbergs Haupthelden aus dem Buch Inferno kennen, einen Mann, der ein bisschen mit den Nerven fertig ist, also helfe ich ihm, das Buch von Weg und Tugend zu verstehen, fernöstliche Tao-Weisheiten, die …
Die ersten Jugendlichen fangen an zu buhen, was sich derart rasant ausbreitet, dass einige Kleinkinder anfangen zu weinen und ein Mitarbeiter auf die Bühne springt und mich bittet, die Singschwestern anzukündigen, die einige lustig-leichte Weihnachtslieder singen werden, im Anschluss gibt es dann gratis Würstchen und Energy Drinks.
Ich plappere alles nach, winke noch einmal und klettere von der Bühne ohne die
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