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Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt

Titel: Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audur Jónsdóttir
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trotzen, während ich mich um mich selber drehe und nach den drei Männern Ausschau halte.
    Doch denen ist es offensichtlich zu kalt. Die Einzigen, die uns hier beobachten, sind die Kameraleute der Fernsehsender, die darauf warten, dass etwas passiert. Plötzlich erwachen sie zum Leben, als ein bärtiger Typ mit wehender Jacke angelaufen kommt und ruft: Am Rathausteich kämpft ein Hund mit einem Schwan!
    Alle rennen den Kameramännern hinterher, wir werfen uns gegen den Wind, so dass wieder Blut in meine tauben Beine strömt. Als wir am Ufer des Rathausteichs stoppen, sehen wir wirklich einen Mischlingshund und einen Schwan, die so erbittert kämpfen, dass Blut in alle Richtungen spritzt. Der Nacken des Hundes ist ganz zerfetzt, blutverklebte Federn hängen ihm im Fell. Die Anwesenden starren gebannt auf die kämpfenden Tiere, immer wieder kreischt jemand auf oder ruft um Hilfe.
    Mama drückt Helgi an sich, während sie ihren Freund Þórdur anweist, etwas dagegen zu tun. Der wirft sich sogleich zwischen die Tiere, zusammen mit einer rothaarigen Frau, von der mein Nachbar behauptet, sie sei Tierarzt. Dann tauchen drei Polizisten auf, die die Menge zerstreuen; sie meinen, es sei für alle das Beste, einfach weiterzugehen.
    Was wir auch tun.
    Wir eilen die Lækjargata entlang und steigen zwischen zwei Häusern die Treppe zum Laufásvegur hinauf. Aber auf der obersten Stufe bleibt Mama stehen, blickt sich nach Þórdur um, und wir sehen, wie die Tiere leblos voneinander weggezogen werden und eine Blutspur auf dem Asphalt erscheint. An Helgis Augenlid schimmert eine Träne. Ich trockne sie ab, damit sie nicht festfriert.
    Einige Leute versuchen, den Tieren zu helfen, während Stadtangestellte in grünen Gummianzügen heranrücken. Sand fliegt in unsere Augen, ich drehe den Kopf zur Seite und sehe, wie dort an der alten Grundschule ein Mann um die Ecke kuckt und dann blitzschnell wieder verschwindet. Sein Schatten zuckt noch auf dem Gehweg, hinzu kommt ein zweiter, ein dritter. Angst fährt mir in die Glieder. Ich muss mit Gardar sprechen. Wenn ich nicht bald wenigstens ein paar dieser Rätsel löse, werde ich wahnsinnig.
    *
    Ich bitte Mama, Helgi mit zu sich nach Hause zu nehmen, ich müsse jetzt ganz schnell los.
    Los? Wohin?
    Ich muss mit Arndís’ Mann sprechen, sage ich. Auf seinem Anrufbeantworter habe ich heute Morgen gehört, dass er den ganzen Tag Dienst im Landspítali hat, also gehe ich wohl am besten dorthin.
    Mamas Gesicht hellt sich auf. Gewiss, natürlich, Mäuseschnäuzchen, sagt sie zufrieden. Und, kleiner Mann, was hältst du davon, wenn wir beide jetzt zu mir nach Hause gehen und uns gemeinsam die Zeit vertreiben, während Sunna nach ihrer Freundin sucht?
    Helgi blinzelt mit feuchten Augen, während er so etwas murmelt wie Ja. Ich sage ihnen, sie sollen sofort loslaufen, sehe noch einmal in Richtung der alten Grundschule, betrachte jede Ecke und jeden Winkel, nirgendwo ist jemand zu sehen. Zum Glück gehorcht Mama mir widerspruchslos, verabschiedet sich heiter und führt Helgi Richtung Laugavegur. Ich starre ihnen hinterher, mein Herz weitet sich in meiner Brust, dann renne ich, so schnell ich kann, Richtung Landspítali.
    *
    Niemand. Ich renne, und es pocht in meinem Hals, als ich mich immer wieder umdrehe. Laufe, was das Zeug hält. Hier ist niemand. Außer mir.
    *
    Der Pförtnerplatz am Haupteingang ist nicht besetzt, so dass ich in den nächstbesten Flur renne und eine grauhaarige Frau im Arztkittel anhalte, die sofort weiß, wer Gardar ist, natürlich, der Gynäkologe. Durch ein Fenster zeigt sie auf den Eingang eines anderen Gebäudes auf der anderen Seite des Parkplatzes. Hastig stammele ich Danke, Danke, Danke und renne hinüber in die Frauenklinik: ein nach Desinfektionsmittel riechendes Labyrinth aus Treppenhäusern, Gängen und geschlossenen Türen.
    Zehn Jahre ist es her, dass ich hier mit jemandem geredet hatte, mit einer jungen Ärztin, die mich fragte, ob ich mir sicher sei. Ja, antwortete ich zögernd, ich bin mir sicher.
    Und weil ich mir so sicher zu sein schien, wurde mir angeboten, den Eingriff zu machen. Wo wohl der OP gewesen war?
    Oder das Wartezimmer? Trotz der Sorglospillen erinnere ich mich daran: ein Zimmer mit zehn Frauen in Krankenhausbetten, die am Fließband mit mir warteten: Sobald eine herauskam, wurde die nächste hineingeschoben, manche schienen nicht älter als Konfirmandinnen, andere waren alt genug, um meine Mutter zu sein. Meine Mutter, wie die ich nicht werden

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