Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
gerechnet, dass ihm auch diese Marketingaktion zum Nachteil gereichen würde, besonders wenn das mobile Ärzteteam in Krisengebieten zum Einsatz kam. Doch schon bald wurden Mord und Organhandel mit dem Unternehmen und seiner Forschung in Verbindung gebracht. Benedikt wurde in der Westsahara getötet, einer ehemaligen spanischen Kolonie, von der lange Zeit umstritten war, ob sie zu Marokko gehörte oder der dort lebenden Volksgruppe, den Sahrawis , zugesprochen werden sollte. Möglicherweise haben Separatisten ihn umgebracht, aber es gilt als wahrscheinlicher, dass er das Opfer fundamentalistischer Terroristen wurde, da seine Organe entfernt worden waren. Arndís weiß mehr darüber, schließlich hatte sie nach dem Mord Kontakt zur Polizei, aber sie wollte nie darüber sprechen. Diese Männer mussten etwas gegen das Unternehmen gehabt haben und wollten auf symbolische Weise dagegen protestieren: Der Novize von Futura nostra ausgeschlachtet auf dem Tisch des fahrbaren OPs, in dem er gearbeitet hatte. Seine Kollegen schliefen, während sich diese Gräueltat abspielte, es gehörte zu den Aufgaben des Assistenzarztes, am Ende des Tages aufzuräumen.
Gardar sieht mich wieder an, streicht über die Falten auf seiner Stirn und reißt sich aus den Erinnerungen, geübt darin, seine Gefühle angesichts von Hiobsbotschaften zu verbergen. Er bleibt ganz ungerührt, als er erzählt, dass Benedikts Eltern den Organraub geheim halten wollten, es sich dann aber doch herumgesprochen hatte. Aber das wisse ich ja auch selbst. Oder etwa nicht?
Ja, doch, das wusste ich. Es war für mich Grund genug, Arndís all diese Jahre zu meiden. Es ist schwierig, mit denen mitzufühlen, die man am besten vergessen sollte. Kleinlaut weise ich darauf hin, dass es vielleicht eine Verbindung zwischen dem Mord an Benedikt und den Marokkanern geben könnte, die nach Arndís suchen.
Egal, ob das so ist oder nicht, sagt Gardar mit brüchiger Stimme und hebt die Augenbrauen, als wollte er die Kontrolle über sein Gesicht zurückgewinnen. Sie müssen zur Polizei gehen.
Vielleicht, sage ich zweifelnd und verstehe nicht, was mich zurückhält. Ich beruhige ihn mit den Worten, dass die Polizei die drei Männer früher oder später fassen wird. Schließlich werden die ja gesucht, aus irgendeinem Grund.
Mir ist schwindelig, als wir uns verabschieden. Ich wanke hinaus. Mit einem Pochen im Kopf und Benedikts schemenhaften Umrissen vor meinem inneren Auge. Mein Verstand dreht durch wie Autoräder in blutdurchtränktem Matsch. Es hatte mich damals ziemlich aus der Bahn geworfen, als ich von dem Mord hörte. Lange Zeit hatte ich sie anrufen wollen, es aber immer wieder vor mir hergeschoben – Jahr um Jahr. Irgendwann war mir, als hätte ich sie auf einem Zeitungsfoto von einer Vernissage gesehen, da erinnerte ich mich dunkel an die Einsamkeit, die sie in ihren schlimmsten Momenten umgeben hatte. Als sie noch ein junges Mädchen war, so wie ich damals, und sich sicher war, dass alle anderen schliefen. Dass sie allein auf der Welt war. Ich muss klar denken.
Muss.
*
Jordi!
Ich wollte dir doch alles erzählen. Alles sollte gut werden. Es hat sich nur nicht so ergeben.
Sinnlos, mit den Wolken zu reden, die so viel später um die Welt fliegen.
*
Am Abend vor unserer Reise nach Marokko hatten wir irgendwo in El Raval zusammen gegessen.
Wir teilten uns ein Hühnchen-Sandwich und einen Salat mit Datteln, Nüssen und Ziegenkäse auf einem großen Teller, tranken Sprudel, tunkten Brot in Olivenöl. Ich erinnere mich noch daran, als wäre es heute. Wie seine nachtschwarzen Augen mich ansahen voller Kerzenlicht und Liebe.
Ich versuchte, die richtigen Worte zusammenzuklauben, um ihm von meiner Schwangerschaft zu erzählen, doch die Worte steckten mir in der Kehle fest. Hustend tat ich so, als würden die Raucher am Nachbartisch mich stören, und schlug vor, dass wir einen Spaziergang machten.
Wir schlenderten durch die Straßen im Abendzwielicht, hielten einander wie Kinder an den klammen Händen.
Die Kühle der Nacht legte sich auf mein Gesicht, das Halbdunkel duftete nach Honig, einen Augenblick fühlte ich mich so leicht, dass ich ihm einfach alles sagen wollte. Da ergriff Jordi selber das Wort. Sieh mal, sagte er. Diese Straße heißt Carrer Joaquín Costa. Früher hieß sie einmal Carrer Ponent, das heißt auf Katalanisch Sonnenuntergang.
Wie schön!, sagte ich und ließ mich von ihm eine Steintreppe hinunterführen. Hier hatte Enriqueta Martí gelebt, die sie
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