Jenseits des Meeres
früh ein. Die hohen Wipfel der alten Nadelbäume verdeckten jede Spur von Mondlicht.
Fröstelnd zog Megan ihren Umhang fester um sich. Abgesehen von dem gelegentlichen Ruf eines Nachtvogels und dem Summen von Insekten, umgab sie eine unheimliche Stille.
Malcolm lenkte sein Ross weiter. Damit sie nicht etwa voneinander getrennt wurden, hatte er darauf bestanden, die Zügel von Megans Pferd zu nehmen. Als ihm einmal ein feuchter Zweig ins Gesicht geriet, fluchte er so grässlich, dass es Megan kalt über den Rücken lief. Was für ein Mensch war sie nur gewesen, dass sie jemals vorgehabt hatte, einen solchen Mann zu ehelichen?
Immer wenn sie auf ihrem Ritt eine Pause einlegten, spürte sie seinen Blick auf sich gerichtet, und jedes Mal hatte sie das Gefühl, davon beschmutzt zu werden. Jetzt, da die Nacht angebrochen war, wuchs ihre Angst ins schier Unermessliche.
Sie überlegte sich, im Schutz der Dunkelheit zu verschwinden, doch ein einziger Gedanke hielt sie davon ab. Ihr Zuhause. Am Ende dieser Reise würde sie ja ihre Heimstatt und die Menschen wieder sehen, die ihr einst etwas bedeutet hatten. Mochte sie auch ein überaus ungutes Gefühl diesem Mann gegenüber haben, so war er doch der Schlüssel zu ihrer Vergangenheit.
Sie entdeckten beide im selben Moment ein fernes Licht. Malcolm fluchte leise und zog heftig an den Zügeln. Megan unterdrückte ihre Angst und dachte an ein warmes Bett und trockene Kleidung.
Beim Näherkommen sahen sie, dass es sich um eine kleine, am gegenüberliegenden Flussufer befindliche Kate handelte. Das Wasser spritzte auf, als die Pferde hindurchgaloppierten. Froh, dem Wasser schnell zu entkommen, erklommen sie dann das mit Felsgestein übersäte andere Ufer.
Als sie absaßen, hörte Megan Pferdewiehern und sah zu spät die Gruppe der Rösser im Schutz eines kleinen Hains stehen.
Ehe sie noch zu protestieren vermochte, packte Malcolm sie beim Arm und schob sie vor sich her durch die halb offene Tür der Kate. Drinnen trank ein Dutzend Männer aus großen Humpen vor einem wärmenden Feuer. Unvermittelt sah sich Megan den Soldaten des Henkers gegenüber, Soldaten, von denen sie gehofft hatte, dass sie bereits längst nach England zurückgekehrt waren.
„Wer ist denn das?“ Die Männer wandten sich um, und ein stämmiger Wachmann, der Megan erkannte, trennte sich von seinen Kameraden.
Megan blickte in das Gesicht von Whip, dem grausamen Wächter vom Lager im Wald.
„Das ist ja unsere Tänzerin.“ Drohend näherte er sich ihr. „Wir fanden Hauptmann Wilkes’ Leiche im Fluss, Mylady, wohin Ihr ihn gelockt hattet.“ Der Wachmann hieb seinen Humpen auf den Tisch. „Sieht ganz so aus, als hätten wir doch noch eine Möglichkeit bekommen, Rache an Euch zu üben.“
„Jawohl“, rief ein anderer Soldat. „Wir waren schon viel zu lange ohne Frauen. Und diesmal brauchen wir keinen Tanz, um unser Blut in Wallung zu bringen.“
Raues Gelächter folgte seinen Worten.
Als Whip ihr ans Mieder greifen wollte, zog Malcolm sie fort. „Alles zu seiner Zeit.“ Er lächelte böse. „Zuerst habe ich eine Rechnung mit dieser Lady zu begleichen, so wie auch der Gentleman, der euch für eure Dienste entlohnte.“ Während er Megan zu einem kleinen Nebenraum zog, sagte er über die Schulter hinweg: „Wenn wir mit ihr fertig sind, mögt ihr haben, was von ihr übrig ist.“
Auf seinem Weg zu der Kate beim Bach spürte James eine wilde Freude. Es war fast geschafft. Er und sein Vater hatten in der Ver-gangenheit einige Schwierigkeiten miteinander gehabt, doch dieses hier sollte ihre Beziehung für immer besiegeln. Sein Vater würde höchst großzügig sein. Es gab da ein Haus in London sowie ein Gut in Bedford. Beides hatte James schon immer gewollt, und er bezweifelte nicht, dass sein Vater es ihm schenken würde. Die Frauen bei Hofe würden sich um ihn reißen, dieselben Frauen, welche einst um Kierans Aufmerksamkeit gebuhlt hatten.
O’Mara. Wie er ihn hasste. Er hasste dessen ruhige Selbstsicherheit, und er hasste es, wie leicht er sowohl mit Männern als auch mit Frauen zurechtkam. Sogar an Elizabeth’ Hof schienen die Königin sowie deren Hofdamen von dem irischen Rebellen eingenommen zu sein, der jeder gesellschaftlichen Konvention trotzte.
James hatte es seinem Vater verübelt, dass dieser Kieran und Colin nach England holte, als er selbst noch ein junger Bursche gewesen war. Er hatte die beiden stets als Rivalen um die Zuneigung seines Vaters betrachtet. Doch bald war ihm
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