Jenseits des Meeres
sie nach England segelten. Man hat nie wieder etwas von ihnen gehört.“
„Wie furchtbar. Versuchte denn niemand, sie zu finden?“
„Doch, Mylady. Aus diesem Grund reisten ja die Lords Kieran und Colin über den Kanal.“ Aileen senkte die Stimme. „Gerüchten zufolge sind Lady Fiona und ihr Gatte von Wegelagerern überfallen und ermordet worden, doch daran hat Lord Kieran nie geglaubt.“ „Weshalb nicht?“
Die Magd zuckte die Schultern. „Weil ihre Leichen nie gefunden wurden. Und Lord Kieran schwor, so lange nach ihnen zu suchen, bis er die Wahrheit über ihren Verbleib erfahren hatte.“
Aileen band eine Seidenschleife in Megans Locken und trat einen Schritt zurück. „So, Mylady. Ihr seht wunderschön aus!“ „Vielen Dank, Aileen.“
Nachdem das Mädchen gegangen war, trat Megan zum Söller, schaute über das üppig grüne Land hinaus und verarbeitete das Gehörte.
Ihr Herz flog dem Kind zu, das seine Eltern verloren hatte. Ihre Lieben nicht zu kennen war für Megan ebenso schmerzlich, als hätte sie ein Teil von sich selbst verloren.
„Offensichtlich habe ich Euer Bad versäumt. Zu schade aber auch. Ich hatte mich schon so darauf gefreut.“
Als sie Kierans spöttische Stimme hörte, drehte sie sich um. Er bemerkte den Ausdruck von Trauer in ihren Augen, und sein Lächeln verschwand. „Hätte ich geahnt, Megan, dass es Euch so unglücklich macht, wieder in Eurem eigenen Gemach zu sein, hätte ich Euch in meinem Bett gelassen. Die Dienstboten hätten dann denken können, was sie wollten.“
Megan lächelte flüchtig. „Ich danke Euch dafür, dass Ihr mich in mein Bett zurücktrugt, Kieran. Zumindest für den Augenblick habt Ihr meinen Ruf gerettet.“
„Es war mir ein Vergnügen, Megan. Ihr gabt ein höchst erfreuliches Bild ab, eines, das ich nicht so bald vergessen werde.“
Megan errötete.
Er dachte daran, wie sie ausgeschaut hatte, als er sie hochhob: Ihr Nachtgewand war hochgerutscht, und ihr Haar war über seinen Arm gefallen. Es hatte seiner ganzen Selbstbeherrschung bedurft, sie nicht etwa mit einem Kuss aufzuwecken.
„Habt Ihr in Eurem Zimmer schon nachgeschaut, um festzustellen, ob irgendetwas fehlt?“ fragte er, um ihr über die Verlegenheit hinwegzuhelfen.
„Nein, das habe ich nicht. Wie ich bereits erwähnte, besitze ich nichts Wertvolles. Doch wenn es Euch beruhigen sollte, will ich es gern jetzt tun.“
Von Kieran beobachtet, ging Megan langsam im Gemach umher. Als sie zu der kleinen Truhe kam, machte sie ein bestürztes Gesicht.
„Was habt Ihr, Megan?“
„Die Kleidung des Soldaten. Die Sachen lagen zusammengefaltet auf dieser Truhe. Nun sind sie fort. Weshalb jedoch sollte jemand die Sachen eines Fremden stehlen?“ Megan guckte sich um und hoffte, dass sie vielleicht woanders lägen.
„Keine Ahnung. Fehlt sonst noch etwas?“
„Nein.“
Kieran wirkte recht nachdenklich, doch als er Schritte auf der Treppe vernahm, bot er Megan den Arm. „Kommt, Megan. Wir wer-
den mit den anderen Gästen die Morgenmahlzeit einnehmen.“ „Aber ...“
„Problemen stellt man sich am besten nach einem von Mistress Peake zubereiteten Essen.“
Etwas widerstrebend legte Megan ihm ihre Hand auf den Arm und ließ sich nach unten geleiten.
„Ich gebe zu, dass Mistress Peakes Speisen weit besser munden als kaltes, trockenes Geflügel, verzehrt auf feuchtem Waldboden.“ „Und ich dachte, Ihr würdet mit größtem Vergnügen die Gelegenheit wahrnehmen, einmal wie ein richtiger Soldat zu leben, Megan.“
Lachend folgten sie dem Stimmengewirr und erreichten schließlich den Speiseraum.
Heller Sonnenschein fiel durch die Fenster herein und malte Muster aus Licht und Schatten auf die dunklen Holztische. Bei Megans und Kierans Eintreten schauten die Herren auf und stellten ihre Gespräche ein.
Hugh Cleary stand sofort auf und rückte Megan einen Stuhl zurecht. Nachdem sie sich gesetzt hatte, nahm er neben ihr Platz, während Kieran sich zu ihrer Linken niederließ. „Gestern Abend, nachdem Ihr Euch zurückzogt und die Engländer ebenfalls zu Bett gegangen waren, ergötzte Kieran uns mit den Geschichten Eures Abenteuers. Wir beschuldigten ihn, uns Märchen aufzutischen, doch er behauptete, jedes Wort sei wahr. Was sagt Ihr dazu, Mylady? Versteht Ihr tatsächlich, einen Säbel zu schwingen wie ein Krieger? Oder ist unser Freund während seines langen Aufenthalts im Fleet-Gefängnis verrückt geworden?“
Megan fand die Gesellschaft dieses Herrn entspannend.
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