Jenseits des Meeres
gefunden habe. Das Kind öffnet sich einfach niemandem.“
„Gebt ihr etwas Zeit, Colin. Der Verlust der Eltern muss etwas Schreckliches sein.“
„Ja - Zeit. Weshalb muss alles immer so viel Zeit in Anspruch nehmen?“ Colin beobachtete die Kleine weiter, die sich nun niedergebeugt hatte und an einem Büschel Blüten schnupperte.
Megan lächelte verständnisvoll. „Erzählt mir etwas über Sir Cecil“, bat sie dann. „Wie ist der Abgesandte der Königin zu einem Freund Eurer Mutter geworden?“
„Sir Cecil war einst viel mehr als nur ein Freund meiner Mutter“, antwortete Colin, und auf Megans verblüfften Blick hin fügte er hinzu: „In ihrer Jugend erwartete man, dass sie und Cecil Kettering heiraten würden. Als meine Mutter jedoch am Hofe König Heinrichs Sean O’Mara kennen lernte, verlor sie an ihn ihr Herz. Sie trotzte ihrem Vater und verzichtete auf das Leben in Reichtum, um bei dem einzigen Mann sein zu können, den sie liebte.“
„Wie aufregend und wie romantisch, allem abzuschwören außer der wahren Liebe.“ Megans Augen glänzten.
Colin lachte kurz auf. „Es mag eine romantische Geschichte sein, Megan, doch obschon diese Liebe in der Tat etwas Wunderbares war, beschritten die beiden einen schwierigen Pfad. König Heinrich verlangte es nach dem Rat meines Vaters. Er befahl ihm und meiner Mutter, in England zu bleiben. Mein Vater weigerte sich jedoch und erklärte, seine Leute benötigten ihn in Irland.“
„Sean O’Mara hat sich dem König widersetzt?“
„Jawohl. Als Held kehrte er nach Irland zurück, doch damit erregte er den Zorn Heinrichs engster Vertrauter.“
„Und Sir Cecil?“
„Der verzieh es offenbar meinem Vater, dass dieser ihm seine erste Liebe abspenstig gemacht hatte, denn er gab uns die Möglichkeit, uns am Hof ausbilden zu lassen. Was allerdings unserem Vater missfiel.“ Colin lachte leise. „Er wollte nämlich nicht, dass seine Söhne unter zu großem englischen Einfluss standen. Meine Mutter indes bestand darauf, das großmütige Angebot anzunehmen. Und als mein Vater starb, verwendete sich Sir Cecil bei Königin Elizabeth dafür, dass meine Mutter weder Titel noch Güter in England verlor.“
„Offenbar ist er tatsächlich ein guter Freund ...“
Aus dem Augenwinkel nahm Colin eine Bewegung wahr. Er und Megan drehten sich um und sahen Bridget auf der schmalen Mauer balancieren, welche den Brunnen einfasste. Irgendwie musste sie dort hinaufgeklettert sein und begann nun, darauf entlangzugehen. Mit erhobenen Armen hielt sie das Gleichgewicht, schwankte jedoch gefährlich.
„Großer Gott!“ rief Colin entsetzt aus. „Nicht, Bridget! Bleib stehen!“
Als sie seinen Schrei hörte, hielt die Kleine an und wandte den Kopf. Die unvermittelte Ablenkung kostete sie jedoch die Balance. Mit einem Aufschrei fiel sie von der Mauer.
Megan und Colin eilten durch den Garten zu ihr.
Bridget lag auf dem Boden. Blut quoll aus den Platzwunden an ihren Knien und befleckte den zerrissenen Saum ihres rosa Kleides. Tränen rannen ihr über die schmutzigen Wangen.
Colin kniete sich neben sie und streichelte zärtlich ihr Gesicht. „Kannst du aufstehen, Schätzchen?“
„Meine Knie tun so weh.“ Bridget schniefte und strich sich mit ihrer schmutzigen Hand über die Nase.
„Das sehe ich.“ Er hob sich die Kleine auf die Arme. „Soll ich dich gleich hineinbringen, damit dich eine der Dienstmägde wa-schen kann?“
„Nein! Großmutter soll mich so nicht sehen.“
„Die Wunden müssen aber gesäubert werden. Ich kann nicht... “ „Nein! Sie darf mich nicht bluten sehen. Bitte, Onkel Colin, erzähl ihr nichts!“
„Bridget, ich muss dich einer Dienstmagd übergeben.“
Die Kleine weinte noch heftiger.
Megan hob die Hand. „Ich bitte Euch, Colin, lasst mich sie versorgen.“
Colin hätte protestiert, wenn Bridget ihn nicht so flehend angeschaut hätte. „Bridget, wirst du die Hilfe der Lady annehmen?“ Das Kind nickte scheu und wischte sich die Tränen von den Wangen. „Bitte lass mich hinunter. Ich kann allein laufen.“
Megan nahm die Kleine bei der Hand. „Komm“, flüsterte sie. „Wir gehen durch den Dienstboteneingang in die Spülküche.“ Megan lächelte Colin aufmunternd zu und führte das Kind zum Haus.
„Ich werde einen Eimer Wasser holen“, meinte sie in der Spülküche. „Ich kann dich gleich hier reinigen, wo deine Großmutter dich nicht sieht.“
„Nein!“ rief Bridget. „Eine der Mägde wird alles ausplaudern. Die berichten
Weitere Kostenlose Bücher