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Jenseits des Mondes

Jenseits des Mondes

Titel: Jenseits des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Terrell
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konzentrieren. Ich rief mir ins Gedächtnis, dass ich stark war. Ich war eine der Nephilim. Ich war die Auserwählte.
    Am Donnerstagabend beschloss ich, dass Schluss sein musste mit den fruchtlosen Grübeleien, und setzte mich an den Aufsatz über Edith Wharton, den Miss Taunton uns aufgegeben hatte. Verstellung war das Gebot der Stunde, also nahm ich mir vor, Miss Taunton mit meinen brillanten literarischen Analysen vom Hocker zu hauen. Tatsächlich war das Thema, das sie uns gestellt hatte, so schwierig, dass es mich von allem anderen ablenkte. Selbst von dem zerknüllten Zettel auf meinem Nachttisch – einem Brief von Michael, den er nach ein paar Zeilen und noch dazu mit einem einfachen »Bis nachher« statt des üblichen »Ich liebe Dich« beendet hatte, weil er zum Training musste.
    Das Telefon klingelte. Ich hörte es, war aber zu sehr in Zeit der Unschuld vertieft, als dass ich es wirklich wahrgenommen hätte.
    »Liebes, Ruth ist am Telefon!«, rief meine Mutter von unten.
    Warum hatte Ruth mich nicht auf dem Handy angerufen? Sie wusste doch, dass ich es beim Hausaufgabenmachen immer auf dem Schreibtisch liegen hatte. Bevor ich aufstand, um zum Telefon zu gehen, warf ich noch einen prüfenden Blick auf mein Display. Ich hatte es aus Versehen auf stumm gestellt, es war also mein Fehler gewesen. Trotzdem war ich aufgrund der ganzen verdammten Weltuntergangsproblematik, des Schlafmangels und meines Englisch-Frusts gereizter als sonst. Obwohl ich mir nämlich fest vorgenommen hatte, mich auf nichts anderes als den Aufsatz zu konzentrieren, war ich schon nach kürzester Zeit verzweifelt, weil ich nicht einsehen konnte, dass ich mich überhaupt um so etwas Hirnrissiges wie Englisch-Hausaufgaben kümmern musste. Mal ehrlich: Würden mir umfassende Kenntnisse über Edith Whartons Leben und Werk im Kampf gegen die Apokalypse irgendwie helfen können?
    Dazu kam, dass Ruth mich wohl kaum übers Festnetz angerufen hätte, wenn sie irgendwelche Neuigkeiten für mich gehabt hätte, die dazu beigetragen hätten, meine Laune zu verbessern.
    Ich nahm den Hörer ab und knurrte: »Hey, Ruth, falls du anrufst, um dir Tipps für diesen bescheuerten Englischaufsatz abzuholen, muss ich dich leider enttäuschen. Ich weiß selbst nicht, was ich schreiben soll.«
    »Deswegen würde ich mir keine allzu großen Gedanken mehr machen, Ellie.«
    »Wieso? Glaubst du, Miss Taunton hat ihre menschliche Seite entdeckt? Träum weiter.«
    »Nein, das meine ich nicht.«
    »Was denn dann?«
    »Das sollten wir vielleicht lieber nicht am Telefon besprechen. Können wir uns heute noch im Daily Grind treffen?«
    »Es ist doch schon gleich neun, Ruth. Ich glaube nicht, dass meine Eltern mir erlauben, jetzt noch rauszugehen. Außerdem muss ich den Aufsatz bis morgen fertig haben. Genau wie du, übrigens.«
    Ruths Geduld war aufgebraucht, und ihr normalerweise sanftmütiger Tonfall wurde säuerlich. »Ellie, du solltest dir über ganz andere Sachen den Kopf zerbrechen als über den Aufsatz für Miss Taunton. Im Ernst, der ist im Moment wirklich das Geringste deiner Probleme.«
    Schlagartig wurde mir ganz mulmig. Ich ahnte, worauf sie hinauswollte. »Was soll das heißen?«
    »Dass eure ganze Verstellung nichts gebracht hat. Das Ende der Zeit hat bereits angefangen.«

Acht

    I ch überredete meine Eltern, mich zum Daily Grind fahren zu lassen. Ich behauptete, Ruth hätte sich mit Jamie gestritten, und ich müsste sie trösten. Leicht war es nicht, aber irgendwann gaben sie nach, unter der Bedingung, dass ich höchstens eine Stunde wegblieb.
    Keine Ahnung, welche Ausrede Michael seinen Eltern aufgetischt hatte, aber auch er kam, nachdem ich ihn telefonisch über die Lage informiert hatte. Obwohl er mich wie üblich mit einem Kuss begrüßte, wirkte er irgendwie abgelenkt, als hätten wir ihn bei etwas wahnsinnig Wichtigem gestört. Aber was konnte wichtiger sein, als das Ende der Welt zu verhindern?
    Im Daily Grind war es trotz der fortgeschrittenen Stunde überraschend voll. Gegen sieben gingen die meisten Schüler nach Hause, und an ihrer Stelle kamen die Studenten. Obwohl keiner von uns es laut aussprach, waren wir alle gleichermaßen dankbar für den Trubel um uns herum. Er milderte die Anspannung etwas, und wir fühlten uns nicht ganz so allein.
    Wir übernahmen den Tisch von einer Gruppe Studenten, die gerade aufbrachen. Nachdem wir uns hingesetzt hatten, tastete ich nach Michaels Hand, während Ruth in ihrer Tasche kramte. Er drückte meine

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