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Jenseits des Mondes

Jenseits des Mondes

Titel: Jenseits des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Terrell
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zusätzliche Trainingseinheiten aufgebrummt, weil er fand, dass Michael das Zeug dazu hätte, auf dem College Football zu spielen. Michael versuchte, sein Versäumnis wiedergutzumachen, indem er nach jeder der folgenden Stunden einen Brief für mich bereithielt. Ich war überglücklich, auch wenn sie ein bisschen kürzer ausfielen als sonst.
    Als ich am Mittwoch von der Schule nach Hause kam, gärten aus unerfindlichen Gründen rebellische Gedanken in mir. Zuerst richteten sie sich vor allem gegen meine Eltern. Während ich ihnen beim Abendessen gegenübersaß und so tat, als wäre alles in bester Ordnung, musste ich die ganze Zeit an einige von Ezekiels Behauptungen denken. Er hatte mir gesagt, dass meine Eltern gar nicht meine leiblichen Eltern seien, sondern mich bloß adoptiert hätten. Ich reichte ihnen das Salz und antwortete auf ihre belanglosen Fragen über die Schule, und gleichzeitig wurde ich immer wütender und wütender, weil sie mich die ganze Zeit angelogen hatten, auch wenn sie überzeugt gewesen waren, es aus gutem Grund zu tun.
    Ich musste an meine leiblichen Eltern denken. Wer sie wohl waren? Tamiel hatte mir verraten, dass meine Mutter »nicht mehr unter uns weilte«. Aber was war mit meinem Vater? Meine Mutter war ein Mensch gewesen, also musste er logischerweise ein gefallener Engel sein. Das wiederum bedeutete, dass er – als Unsterblicher – noch irgendwo da draußen sein musste. Aber es gab keine Möglichkeit, meine Eltern nach ihm zu fragen, ohne gleichzeitig das zu verraten, was Michael und ich so mühevoll zu verheimlichen versuchten. Also brodelten die Fragen tief in mir drin und machten mich ganz wahnsinnig, weil ich allen etwas vorspielen musste.
    Auch die Nacht brachte keine Erleichterung von meinen aufmüpfigen Gedanken. Ich wälzte mich schlaflos im Bett und dachte an Michaels Verhalten, kurz bevor ich nach Boston gefahren war. Ich erlebte noch einmal den Abend, als er mich an den Strand gelockt hatte, angeblich, um zusammen mit mir den Sonnenuntergang anzuschauen. Ich spürte erneut den Schmerz seines Verrats, als er mir stattdessen Ezekiel präsentiert und sich direkt vor meinen Augen in eine willenlose Puppe verwandelt hatte, die Ezekiel nach Belieben steuern konnte. Mit seiner Hilfe hatte er mich in seiner kranken Jagd nach Macht zu seiner Verbündeten machen wollen. Ich konnte mir tausendmal sagen, dass der Michael vom Strand nicht mein Michael gewesen war, sondern einer von Ezekiels Zombies, aber so richtig half das auch nicht.
    Als ich dann endlich doch einschlief, kamen die Träume. Beängstigende Träume voller Tod und Zerstörung. Sie erinnerten mich an die grauenhaften Visionen, die ich in Ezekiels Seele gesehen hatte. Bis auf einen, in dem ein leuchtendes Schwert die Dunkelheit vertrieb.
    Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fragte ich mich, was mit mir los war. Woher kamen all diese schlimmen Gedanken über meine Eltern und – noch wesentlich beunruhigender – über Michael? Lag es an meiner Unsicherheit, weil ich nicht wusste, wie ich meiner Rolle als Auserwählte jemals gerecht werden sollte? Übertrug ich meine Selbstzweifel auf Michael? Er war doch mein Freund, mein Seelenverwandter, auf den ich mich immer verlassen konnte. Er hatte sogar seinen eigenen Vater getötet, um mich zu retten.
    Oder hatten diese Gedanken, so banal es auch klang, wirklich nur mit der abnehmenden Häufigkeit und Ausführlichkeit seiner Briefe zu tun? Was machte es denn schon, wenn sie hin und wieder ein bisschen kürzer waren oder wenn ich ein einziges Mal keinen von ihm bekam? Sich deswegen aufzuregen erschien mir so albern, vor allem, wenn man bedachte, dass jederzeit das Ende der Welt über uns hereinbrechen konnte. War ich etwa eifersüchtig, weil Michael so in seinem Footballtraining aufging? Falls ja, dann war das natürlich vollkommen ungerecht, schließlich waren wir ja gemeinsam zu dem Entschluss gekommen, dass wir uns so normal wie möglich verhalten mussten. Und für Michael bedeutete das eben, Football zu spielen.
    Da ich auf keine dieser Fragen eine Antwort hatte, schob ich meinen labilen Gemütszustand darauf, dass mich das Warten auf Ruths Ergebnisse fertigmachte. Vielleicht lag es auch daran, dass Michael und ich uns alles, was uns wirklich wichtig war, nur auf dem Papier anvertrauen konnten. Das zog mich ganz schön runter.
    Aber ich konnte mir nicht erlauben, mich in privaten Problemen zu ergehen. Ich musste meine Zweifel beiseiteschieben. Mich aufs Wesentliche

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