Jenseits des Mondes
allmählich dunkler. Ich war gezwungen gewesen, in einer abgelegenen Seitenstraße zu parken, in der es keine Straßenbeleuchtung gab und wo zu dieser Zeit kaum noch Fußgänger unterwegs waren. Instinktiv begann ich, mich Rafe entgegenzustemmen und ihn in die andere Richtung zu ziehen, auf die belebteren Straßen zu.
Als hätte er meinen Gedankengang nachvollzogen, verlangsamte er plötzlich seine Schritte. »Tut mir leid, Ellie«, sagte er. »Wahrscheinlich habe ich dir Angst gemacht, weil ich genau auf deinen Parkplatz zugelaufen bin. Aber ich habe dich vorhin einparken sehen.«
Das war natürlich eine absolut nachvollziehbare Erklärung. Ich war in der letzten Zeit einfach ein bisschen überspannt. »Nein, mir tut es leid, Rafe. Du willst ja bloß nett sein.«
Wir gingen weiter, langsamer diesmal und schweigend. Ohne den Verkehrslärm war es unangenehm still. Die letzten Meter bis zu meinem Auto zogen sich endlos in die Länge.
Rafe brachte mich direkt bis zum Wagen und wartete geduldig, bis ich die Fahrertür aufgeschlossen hatte. Ich saß schon hinterm Steuer und wollte mich gerade bei ihm bedanken und die Tür zuziehen, als er sagte: »Ich wollte nicht aufdringlich sein. Als ich dich auf einen Kaffee eingeladen habe, meine ich. Tut mir leid. Manchmal vergesse ich einfach, wie ich mich benehmen muss.«
Er vergaß, wie er sich benehmen musste? Was zum Geier meinte er denn damit? Aber ich wollte nicht, dass er sich Vorwürfe machte – und ich wusste ja aus meiner Vision, dass das der Fall war –, also wiegelte ich ab. »Warst du auch nicht. Du hast mich nur gefragt, ob ich einen Kaffee mit dir trinken gehen will. Mehr nicht.«
»Ich bin froh, dass du es so siehst. Ich hatte einfach nur gehofft, dass wir uns ein bisschen besser kennenlernen könnten. Nur, dass du es verstehst.«
Natürlich, mehr steckte nicht dahinter. Bis zu der spontanen Einladung zum Kaffee, die absolut harmlos und rein freundschaftlich gemeint gewesen war, hatte Rafe nie irgendetwas gesagt oder getan, das mir den Eindruck vermittelt hätte, dass er mich mochte. Na ja, bis auf die Vision in der Sporthalle und die gerade eben, aber die konnte man auch auf ganz andere Art interpretieren.
Ich hätte erleichtert sein sollen, war es aber nicht.
»Super«, sagte ich, obwohl ein Teil von mir fand, dass es alles andere als super war.
»Gut. Dann sehen wir uns morgen Abend zur Nachbesprechung?«
»Klar. Morgen Abend.«
Vierzehn
I n dieser Nacht konnte ich wieder nicht schlafen. Gedanken an Rafe und Michael und die Prophezeiung hatten sich in meinem Kopf zu einem Knäuel verheddert. Als mir dann irgendwann doch die Augen zufielen, träumte ich wirres Zeug. Diesmal waren es nicht die eigenartigen, futuristisch anmutenden Träume, an die ich mich mittlerweile gewöhnt hatte, und auch nicht der beängstigende Alptraum vom Mann mit den schwarzen Haaren. Stattdessen träumte ich, wie ich mit Rafe und Michael im verzweifelten Wettlauf gegen die Endzeit durch den Himmel flog. Als der Morgen endlich kam, war ich wie gerädert.
Ich meine, wie konnte ich gleichzeitig von Rafe träumen, Michael lieben und mir auch noch um das Ende der Welt Gedanken machen?
An diesem Morgen fuhr ich selbst zur Schule, anstatt mich von Michael abholen zu lassen. Ich brauchte den Wagen für das Treffen mit Rafe, das wir auf die Zeit zwischen Schulschluss und Michaels Footballspiel am Abend gelegt hatten. Da wir nicht wie sonst zusammen zur Schule fuhren, hatten Michael und ich uns vor der ersten Stunde an meinem Schließfach verabredet. Normalerweise freute ich mich immer darauf, morgens ein paar Minuten mit ihm verbringen zu können, aber heute war da ein ganz anderes Gefühl, als ich mich dem Schließfach Nummer vierundzwanzig näherte: Angst.
Als hätte ich Michael verraten, indem ich mich in Rafes Gesellschaft so wohl gefühlt hatte. So, wie er mich schon einmal verraten hatte.
Wir konnten uns eine solche Ablenkung nicht leisten, also beschloss ich, so zu tun, als wäre alles wie immer – eine Kunst, die ich mittlerweile immer besser beherrschte. Auf dem Weg durch die Flure zu meinem Schließfach, wo Michael auf mich wartete, pappte ich mir ein Lächeln ins Gesicht, und sobald wir uns begrüßt hatten, machte ich eine Weile zwanglosen Small Talk. Erst als er sich vorbeugte, um mich zu küssen, wurde es brenzlig. Was, wenn er meine verräterischen Gedanken über Rafe aus dem Kuss herauslesen konnte?
Im selben Moment, in dem seine Lippen meine berührten,
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