Jenseits des Mondes
fühlte ich, wie jemand mir von hinten leicht auf die Schulter tippte. Ich drehte mich um und sah Ruth. Noch nie war ich so froh gewesen, dass mir jemand einen intimen Moment kaputtgemacht hatte.
»Sorry, ihr zwei, aber ich wollte euch unbedingt zusammen erwischen«, sagte sie und wurde rot, weil es ihr peinlich war, dass sie uns gestört hatte.
»Kein Problem«, beruhigte ich sie rasch. »Was gibt’s denn?«
»Ich glaube, ich habe was gefunden. Können wir uns heute nach der Schule treffen?«
»Na klar«, sagte ich sofort. Mir fiel ein Stein vom Herzen, dass die Warterei nun ein Ende hatte. Ich würde meine Verabredung mit Rafe absagen müssen, aber auch darüber war ich ehrlich gesagt ein bisschen froh.
»Ich kann nicht«, erklärte Michael.
Ruth und ich sahen erst uns, dann Michael verdattert an. Wie, er konnte nicht?
»Was?«, fragte ich ungläubig.
»Heute ist Freitag. Ich habe später ein Spiel, schon vergessen?« Er war richtiggehend sauer, weil er dachte, wir hätten sein blödes Footballspiel vergessen. Im Ernst.
»Sicher«, sagte ich. »Football.«
»Du kommst doch, oder?«
»Natürlich. Aber können wir uns nicht davor treffen?« Mir fehlten die Worte. Wie konnte er in so einer Situation an Football denken? Vielleicht sehnte er sich nach seinem kleinen Fanclub.
»Ellie, du weißt doch ganz genau, dass Coach Samuel immer will, dass wir vor dem Spiel gemeinsam zu Abend essen, und dann haben wir noch eine Strategiebesprechung. Warum verschieben wir es nicht auf hinterher?« Er blieb stur. »Das Team braucht mich.«
»Es ist ja nicht so, als ob wir unbegrenzt viel Zeit zur Verfügung hätten, Michael. Und eine ganze Menge mehr Menschen brauchen uns als nur dein Footballteam. Falls du es nicht vergessen hast.« Mein Tonfall war genau so aggressiv wie seiner.
Ich sah ihm an, dass er etwas erwidern wollte – etwas Gemeines, was ihm gar nicht ähnlich sah –, aber Ruth ging gerade noch rechtzeitig dazwischen. »Okay, warum treffen wir uns nicht nach dem Spiel im Daily Grind? Die paar Stunden machen auch keinen Unterschied.«
»Meinst du?«, fragte ich unsicher.
»Ich denke nicht.«
»Also, was ist, Michael? Passt es dir nach dem Spiel?« Ich gab mir alle Mühe, höflich zu sein, aber meine Wut war noch nicht ganz verraucht. Was auch Michael auffiel.
»Schon gut, Ellie, ich komme«, brummte er, bevor er sich umdrehte und davonstapfte.
Ruth und ich tauschten einen fassungslosen Blick. Also gut, ich sah ja ein, dass Michael und ich uns so normal wie möglich benehmen mussten – aber seine geradezu sklavische Ergebenheit für seinen Sport und sein Team war eindeutig nicht mehr normal. Früher hatte er sich nie so reingehängt.
Was war aus meinem Michael geworden? Eins der Dinge, die mich ursprünglich so an ihm fasziniert hatten, war seine Selbstsicherheit. Er machte, was er wollte – was ihm gut und richtig vorkam –, ohne sich darum zu kümmern, was die anderen davon hielten. Zum Beispiel an einem Samstagabend ganz allein im Odeon einen Indie-Film anzuschauen – etwas, was kein Zwölftklässler, dem etwas an seinem guten Ruf lag, jemals gemacht hätte. Erst recht kein Football spielender Zwölftklässler. Und jetzt war das Einzige, was ihn noch interessierte, was sein Team über ihn dachte. Unser eigentliches Ziel schien er komplett aus den Augen verloren zu haben. Er spielte den normalen Teenager nicht mehr nur.
Ich überlegte hin und her, ob ich mit Ruth darüber reden sollte. Ihr musste doch auch aufgefallen sein, wie sehr er sich in den letzten Tagen verändert hatte. Aber schließlich entschied ich mich dagegen. Ruth hatte schon genug zu tun, ohne sich auch noch um Beziehungsprobleme zwischen mir und Michael zu kümmern – die zwei, die die Welt vor dem Untergang retten sollten.
Fünfzehn
M eine Verabredung mit Rafe sagte ich trotzdem ab. Mit Ruth machte ich aus, zusammen zu Michaels Spiel zu gehen. Ich sah es als meine Pflicht an, auch wenn ich überhaupt keine Lust hatte zuzusehen, wie seine Fans ihn anhimmelten oder wie er in seinem Sport aufging. Zum ersten Mal, seit wir zusammengekommen waren, hatte ich ihn in den Pausen nicht auf dem Gang gesehen, und mir wurde klar, dass er mir absichtlich aus dem Weg ging. Angesichts dessen, was uns bevorstand, war es von elementarer Wichtigkeit, dass wir an einem Strang zogen, und das wiederum bedeutete, dass ich mich schnellstmöglich mit ihm versöhnen musste. Schließlich hatte ich auch das eine oder andere getan, was einer
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