Jenseits des Mondes
habe ich zahllose Gesetze gebrochen, aber ich weiß, dass die Erde und alle Wesen auf ihr einem schrecklichen Schicksal entgegenblicken, wenn ich euch nicht helfe. Daher habe ich mich entschlossen, mich Gottes Befehl zu widersetzen.«
Bei den letzten Worten hob Michael eine Braue, schwieg aber weiterhin hartnäckig. Wie es aussah, war hier noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten.
»Um zu beweisen, dass ich auf eurer Seite stehe, werde ich dir und Ellie einige Seiner Geheimnisse verraten. Geheimnisse, die euch dabei helfen können, die Gefallenen zu besiegen und die von ihnen herbeigesehnte Endzeit aufzuhalten.«
Das ließ mich aufhorchen. Seit dem Moment, in dem Rafe mir an der dunklen Straßenecke in Tillinghast seine wahre Natur offenbart hatte, brannte ich darauf, mehr zu erfahren. Auch wenn ich zugegebenermaßen ziemlich erstaunt war, dass er beschlossen hatte, Gottes Zorn zu riskieren und uns aller Verbote zum Trotz zu helfen. Vor allem nach seiner Geschichte über die Zweihundert und der Strafe, die Gott wegen ihres Geheimnisverrats über sie verhängt hatte.
»Wie ich von Ellspeth erfahren habe, hat sich eure Freundin Ruth bereits ein rudimentäres Bild vom Ende der Welt gemacht. Sie hat euch erklärt, dass es sieben Zeichen gibt – sieben Ereignisse oder Siegel, wie sie in der Offenbarung genannt werden –, die das Kommen der Letzten Tage ankündigen. Sechs davon stehen noch aus; das erste Zeichen, die Erdbeben, ist bereits eingetreten. Um die restlichen Zeichen abzuwenden, werdet ihr beide ein sehr viel tiefer gehendes Verständnis der Endzeit benötigen, daher habe ich mich entschlossen, euch einige der Dinge zu verraten, die euch bislang noch unbekannt sind, obwohl Er es mir verboten hat.«
Bei seinen letzten Worten sah Rafe mit einem Mal ganz traurig aus. Ich hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, in was für einen emotionalen Zwiespalt es einen Engel stürzen musste, Gottes Wort zu missachten. Ich empfand Rafe gegenüber eine tiefe Dankbarkeit – noch tiefer als die, nachdem er mich vor Kael gerettet hatte.
Rafe fuhr fort. »Es gibt etwas, was Ruth euch nicht gesagt hat – und auch nicht hätte sagen können, denn kein Mensch weiß davon. Von den einhundertfünfundsiebzig Gefallenen der Dunkelheit – die restlichen der Zweihundert zählen wie eure Eltern zu den Gefallenen des Lichts und streben danach, die Gnade Gottes zurückzuerlangen – sind nur einige wenige in der Lage, die sieben Siegel zu öffnen. Ezekiel war einer von ihnen. Ihn habt ihr bereits getötet, und um die bevorstehende Katastrophe zu verhindern, müsst ihr nun auch noch die restlichen töten. Tut ihr es nicht, bedeutet das das Ende.«
Das ergab einen Sinn, aber ich hakte trotzdem nach, nur um ganz sicherzugehen. »Um zu verhindern, dass sich ein Siegel öffnet, müssen wir also den dafür zuständigen Engel töten? Nicht versuchen, das Ereignis selbst zu verhindern?«
»Genau.« Rafe nickte. »Das ist der einzige Weg.«
»Und ist jeder Gefallene für ein ganz bestimmtes Siegel zuständig? Oder kann jeder der sieben jedes beliebige Siegel öffnen?« Nun, da ich endlich eine erste Ahnung von unserer Aufgabe hatte, kamen mir tausend Fragen in den Sinn.
»Jeder der Gefallenen hat die Fähigkeit, nur eins der Siegel zu öffnen. Oder zwei, in einem speziellen Fall. Er oder sie kann nur dasjenige Siegel öffnen, das mit seinen oder ihren besonderen Fähigkeiten in Verbindung steht.«
»Besondere Fähigkeiten?«
»Ja. Gott hat jedem der Engel eine besondere Gabe mitgegeben. Wissen, das außer Ihm nur diesem einen Engel bekannt ist. Jedes Siegel wiederum steht in Verbindung mit diesem besonderen Wissen. Ezekiel etwa war im Besitz des Wissens über das Innenleben der Erde. So war er in der Lage, das erste Siegel zu öffnen – die Erdbeben.«
»Und wer sind die anderen Engel? Und was haben sie für Spezialgebiete?«
»Der zweite Gefallene ist Kael. Da er mit dem Wissen über das Land und die körperliche Gesundheit der Menschen gesegnet war, sind seine zwei Siegel Seuchen und Hungersnöte. Der dritte ist Barakel, dessen Siegel – das vierte – die Armut ist, da er das Wissen über den Umgang mit Geld und Währung besitzt. Rumiel ist die vierte der Gefallenen, und ihr Siegel, das fünfte, ist die Verfolgung der Gläubigen, da Gott sie einst damit beauftragt hatte, die Menschen die Bedeutung Seines Wortes zu lehren. Der fünfte Gefallene ist Asael – ihn hab ich bereits erwähnt –, und sein Siegel, das sechste,
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